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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0489
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Textile Kunst. Das eigentliche Griechenland. Allgem. Betrachtungen. 441

Griechischer Kandelaber-
sturz aus Sicilien.

unserem mykenischen Thesauros zeigt sich auch die Säule un-
verkennbar als Sphyrelaton, als getriebenes Metallwerk mit ein-
gelegten Edelsteinen, wenn auch nur in skulptirter Nachbildung.
Auch die Thüreinfassung ist ein Pegma, was sie übrigens auch
in klassischer griechischer Zeit immer blieb, und dessgleichen
das oberste bekrönende Simswerk, nach dem was Vitruv uns von
den hölzernen Balkenköpfen des toskanischen Tempels erzählt;
es ist mit Brett, Stukko, Metall oder Terrakotta umkleidet. —
So wird alles, die Stütze sowie das Gestützte und in gleichem
Grade das raumabschliessende Glied, die Wand, nothwendig
weiter, voller, pomphafter, geschmückter, als erforderlich und statt-
haft wäre wenn das unter diesen Bekleidungen versteckte Kern-
gerüst in der Idee des Architekten das formengebende äusserlich
sichtbare Element

bildete. 1
Diess alles sind uns bereits von Asien her
bekannte Erscheinungen, allein sie treten hier
noch schlagender hervor und berühren gleich-
sam unmittelbar unsere eigensten architektoni-
schen Traditionen. 2
1 Pausanias sah das von dem Tyrannen Myron zu
Olympia gestiftete Schatzhaus mit zwei Gemächern, eins
von dorischer und das andere von ionischer Bauart, beide
aus Erz (Mitte des 7. Jahrhunderts vor Chr.). Ein Erz-
bau war ferner der Tempel der Athene Chalkioikps
auf der Burg von Sparta aus heroischer Zeit. Toreu-
tisches Werk war wahrscheinlich auch der Thron des
amykläischen Apoll, den Bathykles der Magnesier baute
(7. Jahrh.). (S. Paus. III, 18, 19. — III, 17. X, 5.)
Antike Bronzesäulen (gegossene) befinden sich jetzt in
der Basilika des Lateran.
2 Eine sehr überraschende und erwünschte Stütze er-
hält alles Gesagte durch die Analogie ähnlicher Erschei-
nungen auf andren Gebieten des formalen Schaffens.
Von der Bildnerei war schon früher im Texte die Rede,
aber auch das Geräthe der Griechen machte dieselben
Phasen des Stoffwechsels durch wie der Tempel, nur
dass bei dem Geräth alles deutlicher hervortritt als bei
letzterem und es weniger auffällt wenn z. B. be-
hauptet wird die schönen Kandelaber und Dreifüsse
aus Marmor, welche den Vatikan und den Louvre
schmücken, seien nicht die alleinig durch den Stoff
(den Stein) bedungenen Kunstformen die der konstruktive Grundgedanke habe
annehmen müssen um das Schönheitsgefühl zu befriedigen , sondern sie seien


Semper.
 
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