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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0526
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478

Viertes Hauptstück.

Fugen der Konstruktion durchschimmern liess; eine Raffinerie;
die noch gleichsam ein Compromiss zwischen dem alten und dem
neuen konstruktiven Grundsätze der Dekoration in sich
schliesst.
Sodann die von Plinius als frühestes Beispiel der Anwendung
buntfarbigen Marmors aufgeführten Stadtmauern der Chioten,
über die M. Cicero sich dahin ausliess, dass er sie mehr bewun-
dern würde, wenn sie aus tiburtinischen Steinen beständen. Pli-
nius fügt hinzu: In der That kann die Autorität des Marmors
uns nicht veranlassen eine Dekoration zu bewundern die durch
den gewöhnlichsten Maueranstrich erreicht wird, ja dieser behält
immer noch den Vorzug. 1
Wenn wir also diese Anekdote mit ihrem Zusatze richtig ver-
stehen so folgt daraus zugleich dass die Römer zu Ciceros Zeit
ihre tiburtinischen Quaderwerke bunt stuckirten. In demselben
Kapitel führt der genannte Autor noch an dass Menander, der
genaueste Beschreiber des Luxus, die buntfarbigen Marmorsorten
und überhaupt den Marmorschmuck zuerst, und auch nur selten,
berührt habe. Menander dichtete seine Lustspiele um 300 v. Chr.
also um die Zeit gleich nach Alexander.
Dieser zuerst rein dekorative Gedanke wurde ohne Zweifel
durch die polylithe Benützung buntfarbiger Marmorplatten und
eingelassener seltener Gesteine vorbereitet; man wollte mehr Luxus
zeigen, indem man die Mauer selbst aus diesen edlen Stoffen
ausführte, und so entstand das buntscheckige Quaderwerk, dessen
gemalte Nachahmungen in Pompeji so häufig sind.2 Mehr Origi-
nalität zeigte Nero, der in seinem goldenen Hause einen ganzen
Tempel aus orientalischem Alabaster ausführen liess, dessen durch-
leb IV. 4. Seu autem quadrato saxo aut marmore.
Plin. XXII. 3. Herbis tingi lapides, parietes pingi.
Idem XXXV. 1. Coepimus et lapidem pingere.
Vitruv III,. 1. In araeostylis nee lapideis nec marmoreis epistyliis uti
datur, sed imponendae de materia trabes perpetuae. (Und viele andere.)
1 Ich will nicht für die Richtigkeit meiner Auslegung der schwierigen
Stelle einstehen.
2 Nonnus, ein christlicher Schriftsteller des 5. Jahrh. schreibt die Er-
findung des bunten Qüaderwerkes den Tyrern zu. Dionys. V. 55, pag. 134.
Es stimmt übrigens mit unserer früher entwickelten Anschauung asiatischer
Weise in der Dekoration vollständig überein, dass die buntfarbigen Quader
zunächst nur bei Stadtmauern und Fundamenten erwähnt werden.
 
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