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Semper, Hans; Vasari, Giorgio; Cerri, Cajetan [Transl.]
Donatello, seine Zeit und Schule: eine Reihenfolge von Abhandlungen : Quellenangaben, Register der unbestimmten Werke Donatello's, Regesten, Documente, Personen- und Sachregister — Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, Band 9: Wien: Wilhelm Braumüller, K.K. Hof- und Universitätsbuchhändler, 1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.66046#0105

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STATUEN FÜR DIE NISCHEN etc. 9 1
Wirkung dringendes Genie geführt haben. Ebenso wie man
sagen kann, dass weder vor noch nach ihm jemals ein Künstler
gewesen sei, welcher die Antike mit gleicher Freiheit in ihren
tiefsten Geheimnissen und Gesetzen verstanden habe, ebenso
kann man anderseits sagen, dass er der Begründer der kräftigen
Wirkung der Statuen des Renaissancestyls gewesen sei. Und wie
sehr richtig sein Princip war, vor Allem eine möglichst voll-
kommene Wirkung der Statue, von welchem Standpunkt es auch
sei, zu erstreben, ist einleuchtend. Gibt doch die ganze Kunst
nichts als den Effect, den seelisch-sinnlichen Abglanz
der Realität auf das Auge und das Gemüth des Menschen.
Oder kann ein Künstler etwa wirklich Fleisch und Knochen
nachschaffen oder auch nur die Form eines Naturgegenstandes
in allen seinen Details? Weil ihm dies nicht möglich ist, ver-
schliesst sich ihm desshalb auch die Möglichkeit, naturwahr
zu sein? Nein! — er ist naturwahr, wenn er, mit welchen
Mitteln es auch sei, seinem Kunstwerke eine Wirkung in
Ausdruck und Form zu geben vermag, die derjenigen mög-
lichst nahe kommt, welche, auf eine bestimmte Distanz der dar-
gestellte Naturgegenstand selbst machen würde. Ein Künstler
kann desshalb grosser Realist sein und dennoch in der Aus-
arbeitung seines Werkes ganze Partien nur als einheitliche
Masse behandeln, die in der Natur in unendliche Details zer-
fallen. Er wird Realist sein, wenn er die charakteristischen
Partien, Schatten, Flächen, Züge, Feinheiten als klar verstanden
und mit freudiger Künstler-Empfindung aufgefasst wiedergibt
und hervorhebt und sie mit derselben Weiche und Bestimmt-
heit zugleich nebeneinander ordnet, wie sie in der Natur sich
mit einander verbinden und gliedern.
Ein Künstler jedoch, der die Natur auch mit unendlichem
Fleiss in’s kleinste Detail nachahmt, ist noch lange kein Realist,
wenn die Gesammtwirkung seines Werkes todt, kalt, leb- und
geistlos ist, wenn es nicht, wie das Leben selbst, spricht und
aus allen Zügen heraus einen Gedanken, ein Gefühl zugleich
ausstrahlt.
Ein Künstler, um Realist zu sein, bedarf vor Allem des
natürlichen Genies, mit unfehlbarem Instinct das Leben gleich-
sam wie einen Krystall zu durchschauen, in jedem verborgen-
 
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