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TRACTAT DES M. FRANCESCO BOCCHI etc.
Caesar zu erheben, um ihn gleichzeitig des Lebens und der
Herrschaft über Rom zu berauben. Aus diesem Grunde und
weil der Ausdruck in der Malerei und in der Bildhauerei so
mächtig wirkt, ermuntert der Philosoph in seiner ,,Poetik” die
Jugend, eher jene Kunstwerke, welche den Ausdruck der Besten
bieten, als anders geartete zu betrachten; damit eben, wenn in
ihrem Gemüthe Neigungen erweckt werden sollen, es solche
seien, welche unzweifelhaft geeignet sind, sie auf die Bahn des
Guten und der Vollkommenheit zu lenken. War dies aber
schon zu jeder Zeit angezeigt, so ist es für Maler und Bild-
hauer doppelt in dieser Zeit, wo die Künstler in ihren Gestal-
tungen nicht blos den Ausdruck der besten Menschen oder der
Heroen, sondern auch übermenschliche und göttliche Ideen ver-
dolmetschen müssen, auf dass die Seele sich zu Frömmigkeit
und Gottesliebe erhebe. Nachdem wir nun vom Wesen des
Ausdruckes und davon gesprochen haben, wie derselbe bei
Statuen hier, dort bei lebenden Menschen sich zeige und wie
er oft in den Gemüthern der Anderen sich abspiegle, müssen
wir jetzt darthun, um sodann auf die Vortrefflichkeit der Statue
des heiligen Georg überzugehen, dass nicht jeder Ausdruck
auch jeder Statue entspricht, vielmehr nur derjenige gebühre,
welcher der abgebildeten Persönlichkeit eigen ist. Wie unpassend
würde sich bei einer liebenswürdigen Frau, sei es, dass sie
lebt, sei es, dass sie statuarisch dargestellt sei, ein Ausdruck
voller Strenge oder Feindseligkeit anstatt eines Ausdruckes der
Bescheidenheit und der Milde ausnehmen! Welche Anregung
sollte uns zu Theil werden, wenn ein junger Mann, der tapfer
und kriegerisch gesinnt zu erscheinen hätte, uns mit dem Aus-
drucke der Furchtsamkeit und der Scheu vorgeführt werden
würde? Gewiss, gar keine; denn, nachdem jedes dieser Gebilde
die Eigenart der Natur verleugnet, so ist es zu offenbar, dass
es nur gewaltsam auf die Gemüther wirken kann. Es ist so-
mit dringend nothwendig, dass die Künstler, wie schon die
Natur selbst uns ermahnt, genau aufmerken, welchen Ausdruck
sie ihren Figuren verleihen sollen, damit dieselben keine Fehler
und keine Widersinnigkeiten zeigen, die unserem Auge Lang-
weile und Verdruss bereiten könnten. Sieht man nicht deutlich,
dass, nachdem kleinen Kindern weder Kraft noch Klugheit,
TRACTAT DES M. FRANCESCO BOCCHI etc.
Caesar zu erheben, um ihn gleichzeitig des Lebens und der
Herrschaft über Rom zu berauben. Aus diesem Grunde und
weil der Ausdruck in der Malerei und in der Bildhauerei so
mächtig wirkt, ermuntert der Philosoph in seiner ,,Poetik” die
Jugend, eher jene Kunstwerke, welche den Ausdruck der Besten
bieten, als anders geartete zu betrachten; damit eben, wenn in
ihrem Gemüthe Neigungen erweckt werden sollen, es solche
seien, welche unzweifelhaft geeignet sind, sie auf die Bahn des
Guten und der Vollkommenheit zu lenken. War dies aber
schon zu jeder Zeit angezeigt, so ist es für Maler und Bild-
hauer doppelt in dieser Zeit, wo die Künstler in ihren Gestal-
tungen nicht blos den Ausdruck der besten Menschen oder der
Heroen, sondern auch übermenschliche und göttliche Ideen ver-
dolmetschen müssen, auf dass die Seele sich zu Frömmigkeit
und Gottesliebe erhebe. Nachdem wir nun vom Wesen des
Ausdruckes und davon gesprochen haben, wie derselbe bei
Statuen hier, dort bei lebenden Menschen sich zeige und wie
er oft in den Gemüthern der Anderen sich abspiegle, müssen
wir jetzt darthun, um sodann auf die Vortrefflichkeit der Statue
des heiligen Georg überzugehen, dass nicht jeder Ausdruck
auch jeder Statue entspricht, vielmehr nur derjenige gebühre,
welcher der abgebildeten Persönlichkeit eigen ist. Wie unpassend
würde sich bei einer liebenswürdigen Frau, sei es, dass sie
lebt, sei es, dass sie statuarisch dargestellt sei, ein Ausdruck
voller Strenge oder Feindseligkeit anstatt eines Ausdruckes der
Bescheidenheit und der Milde ausnehmen! Welche Anregung
sollte uns zu Theil werden, wenn ein junger Mann, der tapfer
und kriegerisch gesinnt zu erscheinen hätte, uns mit dem Aus-
drucke der Furchtsamkeit und der Scheu vorgeführt werden
würde? Gewiss, gar keine; denn, nachdem jedes dieser Gebilde
die Eigenart der Natur verleugnet, so ist es zu offenbar, dass
es nur gewaltsam auf die Gemüther wirken kann. Es ist so-
mit dringend nothwendig, dass die Künstler, wie schon die
Natur selbst uns ermahnt, genau aufmerken, welchen Ausdruck
sie ihren Figuren verleihen sollen, damit dieselben keine Fehler
und keine Widersinnigkeiten zeigen, die unserem Auge Lang-
weile und Verdruss bereiten könnten. Sieht man nicht deutlich,
dass, nachdem kleinen Kindern weder Kraft noch Klugheit,