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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.66814#0199
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Textile Kunst. Stoffe. Seide.

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Kunst nach dem Prinzipe der Alten es für die Entwicklung der antiken
Kunst gewesen ist) zeigt sich nun in dem vorherrschend werdenden
Systeme der Assimilation, indem man den Glanz der Seide zur Basis
des noch glänzenderen Goldfadens machte und entweder das Muster aus
Gold auf seidenem Grunde hervorhob oder umgekehrt das seidene Muster
mit Gold gründete. Es konnte ein solches System das farbig Glänzende
durch noch Glänzenderes herabzustimmen und zu harmonisiren seine
prachtvoll ernste Wirkung nicht verfehlen. 1
Dergleichen Stoffe heissen aurotextiles, vestes ex auro textae etc.
Sie wurden die Vorläufer der Goldbrokate, auf die das ganze Mittel-
alter so bedeutenden Wrerth legte und deren schwerer Faltenwurf und
asiatische Pracht der Ornamentation das Erreichbare berührt. Der mittel-
alterliche Name für diesen Prachtstoff war Baldachinus, von Baidach,
d. i. Bagdad oder Babylon. Wenn statt des Goldes der Gegensatz zwi-
schen brillanten und matteren Theilen des Seidenstoffs durch verschiedene
Abstufungen des Glanzes gleichfarbiger oder verschiedenfarbiger Seiden-

1 Man weiss, dass schon die Alten den Goldstoff kannten, ihn liebten, ihn selbst
mitunter bis zur Uebertreibung verwandten. Die ältesten Nachrichten von Goldstoffen
sind in den alttestamentlichen Liedern und im Homer enthalten. Der ältere Plinius
erzählt einem früheren Schriftsteller, Verrius, nach, dass schon Tarquinius Priscus
seinen Triumph gefeiert habe, angethan mit einer goldenen Tunika, und als Augen-
zeuge berichtet er von der Gemahlin des Claudius Agrippa, dass sie einem Kampfspiele
in der Naumachie beigewohnt habe, bekleidet mit einem Mantel (paludamentum) von
gesponnenem und gewebtem Golde ohne andere Zuthat. (Plin. XXXIII. 3.) Josephus
erzählt Aehnliches von dem Judenkönige Agrippa, der, als er dem Kaiser zu Ehren
glänzende Schauspiele und Feste veranstaltete, der Versammlung in einem feierlich
herabfliessenden Gewände sich gezeigt habe, das, ganz aus Silberfäden gewebt, in
der aufgehenden Sonne von wunderbarer Wirkung gewesen sei. — In verschiedenen
Museen werden noch Ueberreste von Gespinnsten aus feinen gezogenen Goldfäden
gezeigt, die aus der klassischen Zeit des alten Roms herstammen. Meistens bildeten
sie Friese (vias) von feinen wollenen und leinenen Stoffen, wie sie häufig von den
alten Schriftstellern erwähnt werden.
Vergleicht man aber diesen Luxus der Römer, denen die Griechen der Dia-
dochenzeit hierin vorangingen, mit den prunkenden Goldbrokaten der Asiaten, wie sie
uns schon aus gleichzeitigen Nachrichten bekannt sind, so tritt, ungeachtet aller Ueber-
treibungen der späteren Kaiserzeiten, der Gegensatz der beiden Prinzipe des Kleidens
immer noch deutlich hervor. Der herabfliessende Faltenwurf des Goldmantels, den
keine eingewirkten Blumenverzierungen stören, ordnet sich der Gestalt in eben der
Weise unter wie die einfache wollene Toga, ist nur geschaffen, um die Gestalt glän-
zender hervorzuheben, — der Goldbrokat dagegen, selbst der ärmere, zieht durch sein
Blumenwerk den Blick auf einzelne Punkte der Erscheinung und zerreisst den Total-
effekt der Gewandfigur.
 
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