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DER CREGLINGER MAR1ENALTAR VON TILMAN RIEMENSCHNEIDER
wie Christus auf einer Bank. In seinem Schoß hält er mit seiner linken Hand ebenfalls eine
Weltkugel. Gottvater und Christus sind bekrönt und ihre langen Kleider bedecken in weich
ausfließenden Falten den ganzen Körper, unter denen jeweils ein nackter Fuß hervorschaul.
Die zwei die Maria krönenden Engel halten mit beiden Händen die Krone Mariens und haben
ihre Beine dabei angewinkelt. Ihr langes Gewand ist in Höhe der Taille gebunden und weht,
der Form der Beine folgend, nach hinten. Die Flügel schwingen weit hinter ihren Rücken aus
und betonen ihre schwebende Haltung. Die Gewänder der Krönungsgruppe sind an den Borten
weder ornamentiert noch verziert. Trotz des herausragenden Themas sind die Figuren auf-
grund der Höhe und dadurch bedingten Entfernung vom Betrachter nur auf ‘Ansichtigkeit’
gearbeitet. Bier vermutet, daß die die Engel mit der Krone eventuell an Darmsaiten aufgehängt
waren, „so daß am Tag Mariä Himmelfahrt die Krönung Mariä vorgeführt werden konnte“.24’
Darüber schwebt der Hl. Geist versinnbildlicht in einer Taube, deren Flügel über die gesamte
Szene ausgebreitet sind.
Die Figur im oberen Gesprenge stellt Christus mit einem Lendentuch dar, der seine linke
Hand nach vorne erhoben hat und mit der rechten auf seine Seitenwunde zeigt (Abb. 20). In
seiner linken Hand kann Christus aufgrund der Handhaltung keine Kreuzfahne gehalten haben,
wie es Dreher245 246 1833 das erste Mal beschrieben hat, so daß die Figur eindeutig als Schmer-
zensmann, der seine fünf Wunden vorzeigt, gedeutet werden muß. Auch an dieser Figur offen-
bart sich eine sehr rudimentäre Ausarbeitung, wie im Krönungsrelief, die nur auf die nötigsten
Formen beschränkt bleibt. Zudem lässt die verdreht wirkende linke Hand einen minder qualifi-
zierten Handwerker vermuten.
Der Marienaltar in der Herrgottskapelle bei Creglingen zeichnet sich durch eine einheitliche
Komposition aus. An der mittleren, nach oben weiter geöffneten Predellennische beginnend
und über den Kielboden in das grazile aufstrebende Gesprenge überleitend, wird die auffah-
rende Bewegung der im Korpus dargestellten Aufnahme Mariens im gesamten formal Retabel
aufgenommen. Die Szenen der Flügel und der Predella rahmen dieses Ereignis und stellen
Szenen aus dem Leben Mariens dar. Die qualitativen Unterschiede innerhalb des Altares legen
nahe, den Creglinger Altar als eine Werkstattarbeit anzusehen, an der mehrere Hände gearbei-
tet haben. Diese Werkstattarbeit zeichnet sich aber durch einen einheitlichen Stil aus, der sich
beispielhaft in Gewanddrapierungen, Physiognomien und Haaren zeigt, aber in unterschiedli-
cher Qualität umgesetzt wurde. Einzelne Künstlerindividuen können dabei nicht herausgelöst
werden, jedoch lassen die qualitativ hochwertigen Arbeiten der Figuren im Korpus, des Ver-
kündigungsreliefs oder auch der Köpfe und die Korrekturen im Anbetungsrelief die Hand ei-
nes meisterlichen Bildschnitzers vermuten.
245 Bier 1930, S. 73.
246 Dreher 1833, S. 3
DER CREGLINGER MAR1ENALTAR VON TILMAN RIEMENSCHNEIDER
wie Christus auf einer Bank. In seinem Schoß hält er mit seiner linken Hand ebenfalls eine
Weltkugel. Gottvater und Christus sind bekrönt und ihre langen Kleider bedecken in weich
ausfließenden Falten den ganzen Körper, unter denen jeweils ein nackter Fuß hervorschaul.
Die zwei die Maria krönenden Engel halten mit beiden Händen die Krone Mariens und haben
ihre Beine dabei angewinkelt. Ihr langes Gewand ist in Höhe der Taille gebunden und weht,
der Form der Beine folgend, nach hinten. Die Flügel schwingen weit hinter ihren Rücken aus
und betonen ihre schwebende Haltung. Die Gewänder der Krönungsgruppe sind an den Borten
weder ornamentiert noch verziert. Trotz des herausragenden Themas sind die Figuren auf-
grund der Höhe und dadurch bedingten Entfernung vom Betrachter nur auf ‘Ansichtigkeit’
gearbeitet. Bier vermutet, daß die die Engel mit der Krone eventuell an Darmsaiten aufgehängt
waren, „so daß am Tag Mariä Himmelfahrt die Krönung Mariä vorgeführt werden konnte“.24’
Darüber schwebt der Hl. Geist versinnbildlicht in einer Taube, deren Flügel über die gesamte
Szene ausgebreitet sind.
Die Figur im oberen Gesprenge stellt Christus mit einem Lendentuch dar, der seine linke
Hand nach vorne erhoben hat und mit der rechten auf seine Seitenwunde zeigt (Abb. 20). In
seiner linken Hand kann Christus aufgrund der Handhaltung keine Kreuzfahne gehalten haben,
wie es Dreher245 246 1833 das erste Mal beschrieben hat, so daß die Figur eindeutig als Schmer-
zensmann, der seine fünf Wunden vorzeigt, gedeutet werden muß. Auch an dieser Figur offen-
bart sich eine sehr rudimentäre Ausarbeitung, wie im Krönungsrelief, die nur auf die nötigsten
Formen beschränkt bleibt. Zudem lässt die verdreht wirkende linke Hand einen minder qualifi-
zierten Handwerker vermuten.
Der Marienaltar in der Herrgottskapelle bei Creglingen zeichnet sich durch eine einheitliche
Komposition aus. An der mittleren, nach oben weiter geöffneten Predellennische beginnend
und über den Kielboden in das grazile aufstrebende Gesprenge überleitend, wird die auffah-
rende Bewegung der im Korpus dargestellten Aufnahme Mariens im gesamten formal Retabel
aufgenommen. Die Szenen der Flügel und der Predella rahmen dieses Ereignis und stellen
Szenen aus dem Leben Mariens dar. Die qualitativen Unterschiede innerhalb des Altares legen
nahe, den Creglinger Altar als eine Werkstattarbeit anzusehen, an der mehrere Hände gearbei-
tet haben. Diese Werkstattarbeit zeichnet sich aber durch einen einheitlichen Stil aus, der sich
beispielhaft in Gewanddrapierungen, Physiognomien und Haaren zeigt, aber in unterschiedli-
cher Qualität umgesetzt wurde. Einzelne Künstlerindividuen können dabei nicht herausgelöst
werden, jedoch lassen die qualitativ hochwertigen Arbeiten der Figuren im Korpus, des Ver-
kündigungsreliefs oder auch der Köpfe und die Korrekturen im Anbetungsrelief die Hand ei-
nes meisterlichen Bildschnitzers vermuten.
245 Bier 1930, S. 73.
246 Dreher 1833, S. 3