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Simon, Holger
Der Creglinger Marienaltar von Tilman Riemenschneider — Berlin: VWF, Verl. für Wiss. und Forschung, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.51324#0118
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112

DER CREGLINGER MARIENALTAR VON TILMAN RIEMENSCHNEIDER

Die dogmatische Begründung der leiblichen Aufnahme Mariens beeinflusst im 13. Jahrhun-
dert eine Vielzahl von neuen Legendentexten und theologischen Schriften zum Leben Mari-
ens, von denen hier nur eine Auswahl erwähnt werden soll. In den Legenden und Erzählungen
des Hochmittelalters werden nun explizit die apokryphen Transitustexte aufgenommen und in
eine legendäre Form gebracht. Die ‘Vita BMV et salvatoris rhythmica' , hatte einen besonders
großen Einfluss auf die Volksfrömmigkeit und spätere Literatur gehabt. Sie entstand in der
Mitte des 13. Jahrhundert und wurde nach 1300 von dem Kartäuser Bruder Philipp in eine ge-
reimte Fassung des Marienlebens in deutscher Sprache umgearbeitet, die dann „zu einem der
am weitesten verbreiteten und meistgelesenen dt. Büchern des späten Mittelalters geworden“
ist.557 558 559 Die Vita rhythmica schmückt die leiblich Aufnahme Mariens durch weitere Erzählungen
aus und betont ihren Empfang durch die Dreieinigkeit am himmlischen Thron. Maria sei das
Tor, durch das Christus geschritten ist, so daß ihr unberührter Körper nicht der Verwesung
anheimfallen dürfe, sondern ihre Seele mit dem Leib verbunden und in den Himmel aufge-
nommen werden müsste. Von der leiblichen Aufnahme wird dann wie folgt berichtet:

„Quod Jesus assumpsit corpus Marie in
celum
7426 Post hoc autem in aurora tertie diei Aposto-
lis sedentibus ad tumbam matris dei. Ipsi-
que cum nimio sopore premerentur, Et eo-
rum oculi somno gravarentur,
7430 Tune cum multitudine venit angelorum Je-
sus dei filius, creator seculorum, Redu-
cens matris animam corpori coniunixit,
Archangeloque Michaeli precipiens iniun-
xit, Ut suam matrem sumeret et eam
transportaret
7435 In celum et in gloriam suam collocaret. Igi-
tur Archangelus Michael felicem Mariam
sumens virginem. dei genitricem, Cum
angelorum cantibus et iubilatione Laudi-
sque tripudio, cum exultatione,
7440 Super choros angelorum in celos transpor-
tavit Et eam suo filio Jesu presentavit.“5”

Dab Jesus den Leib Mariens in den H immel
AUFNIMMT
Danach aber am Morgen des dritten Tages, als die
Apostel bei dem Grab der Gottesmutter saßen, und
als sie von außerordentlichem Schmerz bedrückt
und die Augen schon vom Schlaf schwer gewor-
den waren,
da kam Jesus mit der Schar der Engel, Jesus, Sohn
Gottes, der Schöpfer der Zeiten, und er vereinte
die Seele mit dem Leib, nahm sie [Maria] auf und
übergab sie dem Erzengel Michael, damit er seine
Mutter nehme und hinauftrüge in den Himmel und
in seine Glorie einsetzt.
Also nahm der Erzengel Michael die glückselige
Maria, die Jungfrau, die Gottesbebärerin, auf und
trug sie unter dem Gesang und Jubel, und dem
dreischrittigem Lob der Engel, mit Frohlocken
über die Chöre der Engel in den Himmel hinauf,
und überreichte sie Jesus, ihrem Sohn.

Mit der Erhöhung Mariens an den Throne Gottes als Himmelskönigin (regina coelt), kommt
ihr die besondere Aufgabe der Fürsprecherin für die Menschen zu. „Durch dieses letzte Zei-
chen ihrer Demut und Unterwerfung unter den göttlichen Willen sollte das Werk vollendet

557 Ediert von VÖGTLIN 1888.
558 A. Masser, Leben, in: Marienlexikon, Bd. 4, St. Ottilien: Eos 1992, S. 49-51, hier S. 50; Ders., Himmelfahrt Mari-
ae, Liturgie West, in: Marienlexikon, Bd. 3, St. Ottilien: Eos 1991, S. 202,205, hierS. 203.
559 Zitiert nach der lat. Edition von VÖGTLIN 1888, S. 249f.
 
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