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IKONOLOGISCHE UNTERSUCHUNG DES RET ABELS

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werden, durch das sie, die Allheilige als die neue Eva zum Prototyp des neuen Menschen wur-
de, um auch in ihrem Sterben zum Vorbild für alle zu werden.“560
Die Bedeutung der Aufnahme Mariens für die Menschen wird besonders bei dem schwäbi-
schen Dichter Konrad von Heimesfurt deutlich, der kurz vor der Vita rhythmica, um 1225, „die
eigenständigste in sich abgeschlossene Darstellung der Marienhimmelfahrt“ in deutscher Spra-
che geschrieben hat, um, wie er selber betont, diesen Glaubensinhalt an ein „ungelehrtes und
lateinunkundiges Publikum“ zu vermitteln.561 Konrad liegt als Hauptquelle eine lateinische
Fassung des Apokryphon Transitus Mariae von Ps. Melito vor, auf den er sich bezieht und den
er im Unterschied zu anderen Marienlegenden durch mehrere Textstellen aus der Bibel er-
gänzt. In der schon oben erwähnten ‘Legenda aurea’ des Dominikaners und späteren Bischofs
von Genua, Jacobus de Voragine (1228/29-1298), wird die Aufnahme Mariens schließlich in
einem eigenen Kapitel behandelt.562 Jakobus de Voragine ordnet seine Legendensammlung
streng nach dem Kirchenjahr, die damit als Sammlung von Exempla besonders zur Predigtvor-
bereitung in den Klöstern und anderen kirchlichen Institutionen verwendet werden konnte und
daher im Spätmittelalter große Verbreitung fand. Er redigiert nicht nur die Transitustexte, son-
dern zitiert auch die Schrift und Kritik des Radbertus, die er, wie seine Zeitgenossen, noch
dem Kirchenvater Hieronymus (um 347-420) zuspricht. Jakobus de Voragine nimmt diese Kri-
tik und die Forderung der Verschwiegenheit über das Wunder der Aufnahme Mariens auf und
Versucht, sehr abgewogen die Aufnahme Mariens zu begründen, in dem er auf der Basis der
Überlieferung positive Aussagen zur leiblichen Aufnahme Mariens von Heiligen und Kirchen-
lehrern anführt.
Bonaventura (1217/1221 - 1274) bezieht sich in seinen theologischen Spekulationen ‘Li-
S’ium vitae’ zur Aufnahme Mariens auf ‘De assumptione’ von Ps. Augustinus und hebt als
'vichtiges Argument für eine Aufnahme hervor, daß wenn Maria ohne Leib gen Himmel ge-
fahren wäre, sie dort nicht im Vollbesitz ihrer Seligkeit sein könnte.563 Albertus Magnus (um
1200 - 1280) führt in der ihm zugeschriebenen ‘Mariale’ dann weitere Gründe für eine leibli-
che Aufnahme Mariens an, und kommt zu dem Schluss, daß
„auf Grund dieser und vieler anderer Schlussfolgerungen sich ergibt, daß die Allerseligsle Got-
tesmutter mit Leib und Seele über den Chören der Engel erhoben wurde. Und dies halten wir für
unbedingt wahr.“564
Die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel war also seit dem 11./12. Jahrhundert ein
allgemeiner Glaubensgrundsatz und Grundlage der sich formierenden Mariologie, die die Ver-
bildlichung der leiblichen Aufnahme begünstigte. Neben den beiden vorgestellten Bildtypen
für die leibliche Aufnahme Mariens treten im 11. und 12. Jahrhundert noch vereinzelte Bild-

SS1 Schaffer 1985, S. 36.
Nasser 1991 [wie Anm. 558], S. 204. - ed. von Kurt GÄRTNER/Wemer J. HOFFMANN (Hg.), Konrad von Heimesfurt
562 'Unser vrouwen hinvart’ und ‘Diu urstende’, Tübingen 1989.
563 Benz 1984, S. 583-609. Zu ihrer Wirkung und Verbreitung vgl. SCHREINER 1993, S. 306, Anm. 21.
564 Scheffczyk 1974, S. 29.
Mariale q. 132; Opp. 37, 186. Übersetzung vgl. Scheffczyk 1974, S. 29. - Vgl. auch Vinzenz von Beauvais, Evan-
gelium de nativitate Mariae in Speculum historiale, Kap. 1-8.
 
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