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6 Ikonologische Untersuchung des Retabels
6.1 Fragestellung
Die Forschung konnte den Marienaltar in Creglingen bislang nur unzureichend ikonolo-
gisch bestimmen und kam über eine Benennung der einzelnen Bildwerke nicht hinaus.285 Auf
dem Creglinger Altar werden acht Szenen aus dem Leben Mariens dargestellt. Die Aufnahme
Mariens im Korpus des Retabels wird von der Verkündigung, der Heimsuchung, der Geburt
Christi und der Darbringung im Tempel auf den Retabelflügeln, in der Predella von der Anbe-
tung der Hl. Drei Könige und der Auffindung im Tempel, sowie der Krönung Mariens im
Gesprenge gerahmt. Eine Schmerzensmannfigur bekrönt im Gesprenge das Retabel. Schrade,
Bier und Muth gehen auf die einzelnen Reliefs ein und benennen mögliche ikonographische
Vorlagen für die einzelnen Bildwerke. Die Forschung geht im allgemeinen davon aus, daß nur
das Bild der Aufnahme Mariens eine ikonographisch neue Form darstellt und alle anderen Re-
liefs mit wenigen unbedeutenden Abweichungen für die Ikonographie in nachzuweisenden
Bildtraditionen stehen. Muth schränkt diese Aussage mit dem Verweis auf eine mögliche Vor-
lage im Tucheraltar in Nürnberg (Abb. 98) etwas ein und sieht das ikonographisch Neue in der
stehenden und von Engeln getragenen Maria, die hier das erste Mal in eine plastische Form
übertragen worden sei.286
Muth stellt die Frage nach einem „umfassenden Programm des Altarganzen“, kann aber das
Programm nicht ausreichend spezifizieren und in den bildkonzeptuellen und liturgischen Zu-
sammenhang um 1500 stellen.287 Den Aufstellungsort in der Herrgottskapelle setzt er als den
ursprünglichen voraus und interpretiert daher die einzelnen Bildwerke im Hinblick auf das
Pronleichnamspatrozinium des Altartisches und der dort verehrten Hostie. Zum einen ist es
methodisch problematisch ein Bild, das nicht im Zentrum der Retabeldeutung steht und ein
gewöhnliches Bildwerk innerhalb spätgotischer Retabel darstellt288, aus einem Programm zu
ulimieren und als einzigen Nachweis für den ursprünglichen Standort anzuführen. Zum ande-
rn kann Muth die Frage nach einer möglichen Beziehung zwischen diesem Marienaltar und
dem Fronleichnamspatrozinium nicht beantworten. Ehmer glaubt im Creglinger Retabel sogar
den „Kernpunkt der Abendmahlstheologie dargestellt“ und behauptet, daß „die Bezeichnung
des Altars als eines Marienaltars ... neueren Datums [sei und es sich um einen] ... Fronleich-

Muth 1993, S. 11, konstatiert, daß dem Altar „bislang nur ansatzweise eine ikonographische Betrachtung zuteil wur-
286 de“-
86 Schrade 1927, Bd. 1, S. 125; Bier 1930, S. 66; Muth 1993, S. 20. - Vgl. auch Gerstenberg 1941, S. 46; von
287 FREEDEN1959, S. 41.
Muth 1993, S. 11. - Vgl. auch TAUBE 1983, S. 17, die behauptet, daß „eine literarische oder bildliche Tradition für
288 diese Anordnung nicht bekannt“ sei.
Z. B. Michel Erhärt, Blaubeurener Hochaltar, 1493/1494, Blaubeuren, Klosterkirche; Meister H. L., Breisacher
Hochaltar, 1523/1526, Breisach, Münster.
 
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