8 Das Creglinger Retabel als marianischer Andachtsaltar mit
Anmerkungen zur Riemenschneiderforschung.
Eine Zusammenfassung
171
Der Marienaltar (Abb. 2) von Tilman Riemenschneider steht inmitten der Herrgottskapelle
bei Creglingen und erscheint im Vergleich mit anderen Flügelaltären in einem hervorragenden
Zustand. Ursprünglich war das Retabel mit einer dunklen Öllasur monochrom gefasst, die je-
doch im 19. Jahrhundert abgewaschen und abgebeizt wurde und von der nur noch einige we-
nige Spuren erhalten sind. Die nicht ursprüngliche und heute hellweiße Erscheinung des Reta-
bels ändert aber nichts an seiner sehr- gut erhaltenen Substanz. Zudem wurde ein pastoser
^eißanstrich aus der Zeit vor 1832 entfernt, auf den noch vereinzelte Weißreste an den Au-
ßenseiten des Retabels hinweisen. Die einzelnen Bildwerke sind in ihrer ursprünglichen An-
ordnung und Form erhalten, und der gesamte Schreinaufbau, von der Predella über den Korpus
ni't dem Kielbogen, die Flügel bis zum Gesprenge, ist original. Außer einigen unbedeutenden
Kleinigkeiten ist lediglich die Bekrönung über dem Schmerzensmann nachweislich mehrmals
erneuert worden, und möglicherweise stammen auch die tektonischen Formen und Ranken im
Baldachin über der Krönungsgruppe aus dem 19. Jahrhundert.
So gut der Marienaltar heute erhalten ist, so schlecht sind seine historischen Quellen. Das
Ketabel kann urkundlich weder datiert, noch können sein Standort oder die Autorenschaft ei-
gl Künstlers anhand von Quellen bestimmt werden. Aufgrund des sehr guten Erhaltungszu-
standes sind die Voraussetzungen aber grundsätzlich gegeben, das Creglinger Retabel mit ge-
nu'n kunsthistorischen Methoden auch ohne Quellen und urkundliche Nachrichten zu erfassen,
e'nzuordnen, zu interpretieren und zu bewerten, wobei die grundsätzlichen Prämissen die aus
dern Gegenstand herrühren, hinsichtlich der jeweiligen Fragestellung kritisch erörtert werden
Müssen.
Das Retabel stellt nicht „Kernpunkte der Abendmahlstheologie“765 dar und ist auch nicht
cbristologisch hinsichtlich des Fronleichnams Christi zu deuten. Zu diesen Fehldeutungen
Wurden einige Forscher veranlasst, weil sie den heutigen Aufstellungsort des Retabels in der
Kerrgottskapelle als den ursprünglichen angenommen und diesen in ihren ikonographischen
Untersuchungen vorausgesetzt haben. Die wundertätige Hostie, die um 1500 an dem Altar-
tisch, auf dem heute das Retabel steht, verehrt worden sein soll, wird in diesen Forschungen
inhaltlich auf das Altarretabel bezogen und damit das Thema der Fronleichnamsverehrung ok-
tr°yiert. Es lässt sich aber kein urkundlicher oder begründeter Nachweis für die Annahme des
heutigen Standortes als den ursprünglichen anführen, so daß der historische Kontext der Herr-
gottskapelle inhaltlich nicht auf das Retabel bezogen werden darf.
Dimer 1993, 151; - Vgl. auch MUTH 1993.
Anmerkungen zur Riemenschneiderforschung.
Eine Zusammenfassung
171
Der Marienaltar (Abb. 2) von Tilman Riemenschneider steht inmitten der Herrgottskapelle
bei Creglingen und erscheint im Vergleich mit anderen Flügelaltären in einem hervorragenden
Zustand. Ursprünglich war das Retabel mit einer dunklen Öllasur monochrom gefasst, die je-
doch im 19. Jahrhundert abgewaschen und abgebeizt wurde und von der nur noch einige we-
nige Spuren erhalten sind. Die nicht ursprüngliche und heute hellweiße Erscheinung des Reta-
bels ändert aber nichts an seiner sehr- gut erhaltenen Substanz. Zudem wurde ein pastoser
^eißanstrich aus der Zeit vor 1832 entfernt, auf den noch vereinzelte Weißreste an den Au-
ßenseiten des Retabels hinweisen. Die einzelnen Bildwerke sind in ihrer ursprünglichen An-
ordnung und Form erhalten, und der gesamte Schreinaufbau, von der Predella über den Korpus
ni't dem Kielbogen, die Flügel bis zum Gesprenge, ist original. Außer einigen unbedeutenden
Kleinigkeiten ist lediglich die Bekrönung über dem Schmerzensmann nachweislich mehrmals
erneuert worden, und möglicherweise stammen auch die tektonischen Formen und Ranken im
Baldachin über der Krönungsgruppe aus dem 19. Jahrhundert.
So gut der Marienaltar heute erhalten ist, so schlecht sind seine historischen Quellen. Das
Ketabel kann urkundlich weder datiert, noch können sein Standort oder die Autorenschaft ei-
gl Künstlers anhand von Quellen bestimmt werden. Aufgrund des sehr guten Erhaltungszu-
standes sind die Voraussetzungen aber grundsätzlich gegeben, das Creglinger Retabel mit ge-
nu'n kunsthistorischen Methoden auch ohne Quellen und urkundliche Nachrichten zu erfassen,
e'nzuordnen, zu interpretieren und zu bewerten, wobei die grundsätzlichen Prämissen die aus
dern Gegenstand herrühren, hinsichtlich der jeweiligen Fragestellung kritisch erörtert werden
Müssen.
Das Retabel stellt nicht „Kernpunkte der Abendmahlstheologie“765 dar und ist auch nicht
cbristologisch hinsichtlich des Fronleichnams Christi zu deuten. Zu diesen Fehldeutungen
Wurden einige Forscher veranlasst, weil sie den heutigen Aufstellungsort des Retabels in der
Kerrgottskapelle als den ursprünglichen angenommen und diesen in ihren ikonographischen
Untersuchungen vorausgesetzt haben. Die wundertätige Hostie, die um 1500 an dem Altar-
tisch, auf dem heute das Retabel steht, verehrt worden sein soll, wird in diesen Forschungen
inhaltlich auf das Altarretabel bezogen und damit das Thema der Fronleichnamsverehrung ok-
tr°yiert. Es lässt sich aber kein urkundlicher oder begründeter Nachweis für die Annahme des
heutigen Standortes als den ursprünglichen anführen, so daß der historische Kontext der Herr-
gottskapelle inhaltlich nicht auf das Retabel bezogen werden darf.
Dimer 1993, 151; - Vgl. auch MUTH 1993.