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2 Forschungsbericht
Das Interesse des beginnenden 19. Jahrhunderts an der Kultur und Lebenswelt des Mittelal-
ters und der dieses Jahrhundert prägende ‘Historismus’ haben die Aufmerksamkeit wieder auf
den Würzburger Bildschnitzer Tilman Riemenschneider gelenkt und die Forschung zu seinen
Werken begünstigt. In den vorherigen Jahrhunderten wurde keines seiner Bildwerke mit ihm
verbunden und sein Name schien gänzlich vergessen. Zu Lebzeiten war Riemenschneider aber
eine bekannte und als Bürgermeister der Stadt Würzburg auch eine angesehene Persönlichkeit.
Als „fürsichtiger und wyser maister“21 wird er in dem Vertrag zum Rothenburger Heiligblut-
Altar hervorgehoben und auf seinem Grabstein als „ersamfer] vnd kunstreich[er]“ Bildhauer
und Bürger Würzburgs gewürdigt. Dreizehn Jahre nach seinem Tod, 1544, bezeichnet ihn der
Würzburger Geschichtsschreiber Lorenz Fries noch als „weitberümbter meister“22, doch ver-
liert sich danach seine Spur im Ungewissen,2’ und der Name Tilman Riemenschneider wird
erst wieder im 19. Jahrhundert mit Bildwerken verbunden und gewürdigt. Damit erging es
Riemenschneider wie anderen Künstlern seiner Zeit,24 deren Bildwerke zwar durch die Jahr-
hunderte hindurch erhalten blieben und auch zum Teil gewürdigt wurden, deren Namen aber
vergessen waren und mit keinem der Bildwerke mehr verbunden werden konnten. Von den
ersten ‘Entdeckungen’ mittelalterlicher Bildwerke und verschiedenster Künstlernamen beein-
druckt, begann Anfang des 19. Jahrhunderts eine intensive Forschung zur mittelalterlichen
Kultur, die bis heute anhält. Der Creglinger Marienaltar und Tilman Riemenschneider können
hier beispielhaft für eine solche Forschung benannt werden. So legte 1832 der Creglinger Stif-
tungspfleger Georg Michael Dreher den Marienaltar in der Herrgottskapelle von allem Unrat
frei und ermöglichte damit die Öffnung des Retabels, und zehn Jahr zuvor verhalf der Fund
der Grabplatte von Tilman Riemenschneider, eine Künstlerpersönlichkeit namentlich benen-
nen zu können. Damit war die Voraussetzung für die nun folgende Forschung zum Creglinger
Marienaltar geschaffen, deren Entwicklung und verschiedenste Fragestellungen hier dargelegt
werden, um die besonderen Schwierigkeiten in bezug auf eine Untersuchung zum Creglinger
Altar besser verstehen und an diesen Forschungsstand anknüpfen zu können. An einer histo-
risch orientierten Darstellung der Forschung, die der Frage der Zuschreibung und Datierung
des Retabels folgt, schließt ein problemorientierter Forschungsbericht an, der die mögliche
Quellen und einzelne Fragestellungen in bezug auf den Creglinger Marienaltar diskutiert.

21 Katalog Würzburo 1982, S. 8.
~~ Zitiert nach Becker 1849, S. 14.
' Carl Mander, Das Leben der niederländischen und deutschen Maler, 2 Bde, 1617, hrg. von Hanns Floerke, München
1906, und Joachim von Sandrat, Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, 1675, hrg. von H. R. Peltzer,
München 1925, nennen Riemenschneider nicht. Johann Octavian Salver, Proben des teutschen Reichs-Adels, 1775,
S. 375, verbindet mit dem Scherenberg- und Bibragrabmal im Dom von Würzburg den Künstler „Dalo Alpino Schnei-
der“.
24 Vgl. u. a. Hans Leinberger (um 1475-1530); Veit Stob (1447/48-1533).
 
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