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Simon, Holger
Der Creglinger Marienaltar von Tilman Riemenschneider — Berlin: VWF, Verl. für Wiss. und Forschung, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.51324#0121
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IKONOLOGISCHE UNTERSUCHUNG DES RETABELS

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ens"'" (Abb. 103) zufinden ist. Die Inschrift auf dem Rand des Tympanonfeldes bestätigt diese
ikonographische Deutung:
IMPONI(TUR) PULCHRUM CORPUS SINE FRAUDE SEPULCRUM* 571
Auf der rechten Seite des oberen Typanonbildfeldes wird eine gekrönte stehende Figur im
Orantengestus von einer Mandorla hinterfangen und von Engeln erhoben. Diese Bildfindung
bezieht sich auf den Bildtypus einer leiblichen Aufnahme Mariens, die im 11. Jahrhundert
entwickelt wurde572 573 574 * 76 und hier mit der Grablege kombiniert wird. Die Inschrift am Rand des Ty-
Panonfeldes bestätigt auch hier die ikonographische Einordnung:
l(HESUS) AD PATREM FACIT ALMAM SCANDERE MATREM57’
Eine weitere Sonderform befindet sich am Nordquerhausportal der Prioratskirche Notre-
Dame in Saint-Thibault-en-Auxois™. Das Tympanon stellt ein Marienkrönungsprogramm dar,
das in seiner formalen Gliederung den Krönungs-tympana der französischen Kathedralen sehr
ähnlich ist. Im oberen Bildfeld des Tympanon sitzen die gekrönte Maria und Christus auf dem
Himmelsthron, und das untere Bildfeld wird, wie in der Il-de-France vertikal in zwei Bildfel-
der nebeneinander geteilt. In dem linken Bildfeld ist der Tod Mariens dargestellt und in dem
rechten Bildfeld erinnert die Bildfindung sehr an den Bildtypus einer stehenden Maria-Orans,
die von Engeln erhoben wird. Anstelle der Mandorla wird Maria mandorlaartig von einer
^olke hinterfangen. Diese Bildfindung bezieht sich auf einen syrischen Transitus, den Gregor
von Tours in seinem ‘Miraculorum Liber I: De gloria martyrum’™ aufnimmt:
„Und siehe, der Herr stand plötzlich wieder bei ihnen, nahm den heiligen Körper in eine Wolke
und ließ ihn in das Paradies bringen, wo er sich mit der Seele wieder vereinigte.“376
Diese drei Bildfindungen dürfen nicht auf „kuriose“ und „freie Schöpfungen ... weit ab von
Paris“ reduziert werden, sondern sie sind Beispiele einer variationsreichen mittelalterlicher
Bildfindung und Bildgestaltung. Inwieweit in diesen Reliefs entweder die eklektizistische
Kombination verschiedener Bildtypen durch einen inhaltlich und künstlerisch weniger versier-
ten Meister oder die Hervorhebung besonderer Inhalte durch eine besondere Kombination von
Bildtypen anzunehmen ist, kann aufgrund der historischen Distanz aber nicht eindeutig nach-
gewiesen werden.
Im Sakramental- von Tours577 findet sich eine weitere Variation des Bildtypus der stehenden
Ilaria-Orans, die von Engeln erhoben wird. Maria wird in dieser Bildfindung weder von einer
Mandorla, noch von einer Wolke hinterfangen. Sondern in der Majuskel V der folgenden Ve-

s71 Lausanne, Kathedrale, Portal, 1216 - 1220; AMIENS, Kathedrale, südliches Westportal, 1236-1246.
»Der schöne und unversehrte Körper wird ins Grab gelegt.“ - Vgl. Verdier 1980, S. 116; M. DESHOULIERJES, Le tym-
572 Pan de l’eglise St.-Pierre-le-Pullier, in: Memoires de la siciete des Antiquaires 39 (1919), S. 38-46.
Vgl. Sakramentar VON Mont-Saint Michel, vor 1058, New York, The Pierpont Morgan Library (M. 641), fol. 142v
573 (Abb. 86).
574 »Jesus lässt die gesegnete Mutter zum Vater aufsteigen.“ - Vgl. VERDIER 1980, 116.
S73 Saint-Thibault-en-Auxois, Prioratskirche Notre-Dame, Nordquerhausportal, 1240-50.
S76pL71,708, c. IV.
S77 Übersetzung nach Schaffer 1985, S. 29. - Vgl. auch Daniel-ROPS 1959, S. 104; CHAPEAUROUQE 1973, S. 30.
Sakramentar, Ende 12. Jh.. Tours, Bibi, municipale (ms. 193), fol. 98r.
 
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