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FJODOR UKRAINOW:

GENOSSE KOMMISSAR

Menschen gibt es heute noch! Man könnte meinen, sie
hätten als Murmeltiere hundert Jahre verschlafen. Kommt
da der Lehrer Pawel Pawlowitsch zu unserem Wohnungs-
kommissar Eedor Lubkowiky, stellt sich vor ihn hin mit
seiner Stahlbrille, dreht den faltigen Giraffenhals und
stottert etwas von alter Schulkameradschaft. Weil sie beide
vor zwanzig Jahren auf der gleichen Bank hcrumrutschten,
soll unser Kommissar jetzt diesen verkappten Bourgeois
in seinen reaktionären Gefühlen begünstigen. Fedor Lub-
kowiky aber ist nicht so leicht aus dem Geleise zu werfen.
Er lehnt sich im Sessel zurück, daß die Lehne aufstöhnt
unter dem wuchtigen Druck, schaut sich das hagere Men-
schengestell nicht unfreundlich an und läßt seinen Blick
eine Weile abwartend auf der hageren Schreiberhand
ruhen, die nervös an der abgeschabten Rocktasche herum-
iingert. „Genosse," sagt er fest und mit Würde. ..weil wir
vor zwanzig Jahren auf der gleichen Schulbank herum-
rutschten, will ich nichts gehört haben. Eigentlich müßte
ich dich melden wegen reaktionärer Gesinnung."
.Genosse Kommissar..." erschrickt der Lehrer.
„Kein Wort mehr!" warnt ihn Lubkowiky: ..Du weigerst
dich, den Genossen Araktschejew aulzunehmen, den ich
dir zugewiesen habe; willst über den Wohnraum in deiner
Hütte selbst verfügen. Das ist reaktionäre Gesinnung!
Und so einer soll unsere Jugend erziehen! Genosse Leh-
rer, ich fürchte, ich muß dich doch melden."
Pawel Pawlowitschs braune Augen stehen wie Glaskugeln
hinter der dicken Brille „Kamerad," bittet er furchtsam,
„es ist ja nur ein Mißverständnis! Bitte schön," sagt er
beschwörend, „sende mir. wen du willst. Bitte schön! Ich
weigere mich nicht. Meinte ja nur, Genosse Araktschejew
passe besser zum Nachbarn, bei dem er bisher wohnte.
Führen beide das gleiche Leben, — den Tag verbringen
sie, was weiß ich, wo — und die Nächte durchsaufen sie

WIR BAUEN AUF!

Wir bauen auf! — Wir bauen auf!
Das Schöllkraut blüht auf den Trümmern, —
Der Schutt liegt noch auf den Leichen drauf.
Wir zeugen schon munter Soldaten zuhaut',
Zu siebent in eineinhalb Zimmern.

Es ist mal endlich wieder soweit,
Die Welt liegt in Friedenswehen!
Sie bricht — pardon — vor Übelkeit,
Erbricht eine neue, schönere Zeit
Und vergißt die Geburt aus Versehen.

Wir bauen auf! — Was schert uns das?
Der Mond scheint in uns're Ruinen.
Die Alten beißen schockweis' ins Gras, —
Wir zahlen mit Schnaps für das Fensterglas
Und hungern mit freundlichen Mienen.

Wir handeln schwarz, ob Kind, ob Greis,
Und zahlen die Butter mit Tugend.
Wir haben an Tugend immensen Verschleiß,
Denn auch Zigaretten kosten viel Schweiß. —
Man schütze die christliche Jugend!

Wir glauben schon wieder Wort für Wort
Und lassen die Hoffnung nicht sinken.
Wir treiben Enthaltsamkeit als Sport.
Man führt uns die Schweine und Kühe fort. —
Wir träumen von Schlagrahm und Schinken.

Wir stoßen die Krüppel vom Trittbrett herab
Und wählen zur Wahl „Charaktere":
Wir schaufeln dem Demokratiechen sein Grab
Und werfen ihm noch unsere Jugend hinab:
Es lebe die Deutsche Misere!

Doch reißen wir mächtig den Schnabel auf.
Gebärden uns frisch und munter, —
Wir bauen ja auf! — Wir bauen ja auf
Und kriechen verwegen den Berg hinauf —
Und kugeln dann frisch wieder runter.

Charly S.

mit lustigen Weibern und fressen dabei Speck, soviel
ihnen schmeckt."

„Mußt dich an den Kommissar für Bekämpfung des
Schwarzhandels wenden," meint Fedor Lubkowiky gleich-
gültig, „mich geht das nichts an, habe schon genug
Arbeit."

Der Lehrer schrumpft in sich zusammenjye ein Gummi-
band und sagt hoffnungslos, nur weil es nun mal zu der
Rede gehört, die er sich einstudierte:, „Wenn meine Schul-
buben, wie das manchmal vorkommt, mich besuchen und
dies oder jenes sehen und riechen, könnten sie meinen,
ich sei der heimliche Schnapsbrenncr. Und lernen viel-
leicht noch bei dem Genossen Araktschejew, wie man das
macht." ^
„So, Schnaps brennt er auch!" sagt der Kommissar über-
rascht und stützt die Stirne nachdenkend auf die Hand.
„Setz dich doch, Kamerad Pawlowitsch . . . Wäre natürlich
nicht gut, wenn deine Schulbuben das Geheimbrennen
lernen und Väterchen Staat um die Steuern betrügen . ..
Was machen wir da. . ." Als sei ihm eine Erleuchtung
gekommen, schaut er auf und dem Lehrer ins Gesicht:
„Hast du keine Zigarette", fragt er wie geistesabwesend.
Der Lehrer greift rasch in die abgeschabte Rocktasche
und zieht eine neue Schachtel heraus.

„Fünfzig Stück" schätzt der Kommissar, „keine schlechte
Sorte. Ganz so blöd ist das Tannenzäpfchen doch nicht."
Der Lehrer schaut wehmütig auf die Schachtel, die jetzt
unter des Kommissars haariger Tatze liegt und denkt:
„Hätte mir vorher eine nehmen sollen ... Zeiten sind das!
Hofft man, solch ein Schweinehund tue etwas für einen
alten Schulkameraden... Ja, Pfeifendeckel! Hol's der Sa-
tan! Bestechen mußt du ihn wie irgendeinen wildfremden
Kommissar."

„Was machen wir nun mit dir", sagt Fedor Lubkowiky
und bläst den Rauch durch die breite Nase. „Muß ich den
Schwarzhändler Araktschejew wohl um ein Haus weiter
senden. Und wegen der Schnapsbrennerei werd ich mir
den Genossen energisch vornehmen." >,
Das tat er auch, unser Wohnungskommissar. Jetzt hat
man ihn leider in die nächste Stadt versetzt, weil er
wochenlang betrunken ins Amt gekommen war. Es ist
eben nicht leicht, Schnapsbrenncr zur Rechenschaft zu
ziehen.

Nachwort des Uebersetzers: Meist werden solche russi-
schen Satiren übersetzt, in denen sich Mißstände spiegeln,
die auch uns nicht ganz fremd sind. Die Geschichte des
Fjodor Ukrainow dagegen habe ich nacherzählt, um zu zei-
gen, wie gut wir es haben — wir, bei denen demokratische
Freiheit herrscht und niemand gezwungen wird, einen Mie-
ter aufzunehmen, der nicht zu ihm paßt. Und bestechliche
Wohmmasfeommissare gibt es bei uns auch nicht. Ja, gut,
— wie gut haben wir es doch! Friedrich Märker

E.Willmann

DER REICHE ONKEL

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der reiche Onkel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Willmann, Ernst
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 6, S. 67.
 
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