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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 3.1948

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https://doi.org/10.11588/diglit.6590#0158
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I

R. Schlichter

AUGUST WISBECK 70 JAHRE

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Geboren in München am 30. Juli 1878. Gymnasium. Offizier, bis er sich nach zwölf
Jahren wegen seiner sehr individuellen Lebensgestaltung endgültig mit seinen Vor-
gesetzten zerkriegte. Universität. 1914 — „der König rief" und auch er kam. 1917
Türkei dort, wo sie am interessantesten und noch am meisten orientalisch war. 1919,
weil ,,aus gutem Hause" und weil versehen mit tadelfreien Umgangsformen, Frack,
Smoking, Zylinder und ausgeprägtem männlichem sex appeal: Filmschauspieler mit
dem Namen Mario Steen. In Geiselgasteig und in der Schweiz. ^Spezialist für vor-
nehme Verbrecher, räuberische Grafen, Hochstapler, Verführer, dämonische Manns-
bilder. Fünf Jahre lang, zu einer Zeit, als der Film noch Kintopp war und ohne
künstlerisches Höherhinauswollen. (Man lese auf S. 166 dieser Ausgabe nach.) Dann:
Holzfäller am Karwendel. Ausflug nach Berlin, Stückeschreiber für leicht-leichte
Boulevardtheaterchen. Darauf: Mitarbeiter der „Jugend", Mitarbeiter des „Simplizis-
simus". Und jetzt Mitarbeiter unseres SIMPL seit Anbeginn. Meister der kleinen
literarischen, ausgefeilten, der humorigen, heiteren, still vergnügten und bajuwarisch
derbleckenden Form. Der SIMPL grüßt seinen treuen Mitarbeiter, seinen guten
Freund. Den stetig Liebenswürdigen, Freundlichen, Gütigen. Den in unserer Misere
trotzdem Reichen (denn seine sieben Jahrzehnte sind ein großes Funkeln und Ueber-
schäumen). Den Chevalier. Den im doppelten Sinne Schwabinger: der in der Markt-
straße eins der allerallerältesten niedrigen Häuschen bewohnt — einer der allerbesten
Vertreter des „Begriffs Schwabing", jener Atmosphäre von Lebensfreude, Künstl r-
rausch, Geistesflimmern, Viecherei und Unbekümmertheit, die auf uns Heutige imi..cr
noch ihren legendären Glanz ausstrahlt.

Frag' mich , . .

Was ist ein Parteipolitikev?

Ein Lebewesen, das bei jeder alliierten Kon-
ferenz im-siebten Himmel schwebt und infol-
gedessen danach immer aus den Wolken fällt.

Was ist Entnazifizierung?

Eine Komödie in einein (jämmerlichen) Aufzug.

Was ist Arbeitslosigkeit?

Was nicht sein kann, weil's nicht sein darf.

Was ist Berlin?
Eine fnsel der UN-SEL1CEN.

Was ist eine Nationalversammlung?
Der unfreiwillige Zusammenschluß ungeeig-
neter Herren auf indiskutabler Grundlag: mit
unerwähnenswerten Befugnissen.

Was ist Demontage?

Der Morgent(h)au auf dem Silberstreifen am
Horizont.

Was isi „feein geeignetes Mittel"?
Laut Ministerpräsident Ehard Volkswahlen
i n jedem Zeitpunkt, der Ejnbuße an CSU-
Stimmen bringen wird, also a n jedem Zeit-
punkt. G. W. Borth

Man ist fast zu besorgt um uns ...

Wie ein brausender Strom bricht unerwartete Be-
sorgnis um unser Wohlergehen plötzlich allerorten
über uns herein. Wir sollen mit einmal die zer-
brochenen Stuhlfüße nicht mehr selber leimen und
das Hausdach nicht mehr mit Holzstücken, sondern
mit Dachpappe flicken. Gepäckträger versuchen ans
am Bahnhof die kleinsten Köfferchen in wahrhaft
väterlicher Sorge um unseren Bizeps zu entreißen.
Bei strömendem Regen halten jene als Exporttaxis
gekennzeichneten dunklen Wagen neben uns- und in
tiefem Bedauern mit unserer Situation sagt der Fah-
rer: „Bei so einem Wetter können S' aber nicht zu
Fuß gehen." Ah, was fühlen wir uns getragen von
so viel Wohlwollen, was nicken wir beglückt in die
aufmerksam wartenden Gesichter, was folgten wir
gern dem guten Rat, wenn wir solcher Ueppigkeit
nicht durch jahrelanges Versagen völlig entwöhnt
worden' wären. Aber der Strom der Besorgnis um-
rauscht uns und versucht unermüdlich die Hemmungen
wegzuspülen, die uns mit unserem Geld verbinden.
Bevor er sich ins Meer der allgemeinen Geldgier er-
gießt, teüS; er sich in drei große Arme mit vielen
kleinen Nebenflüßchen, in die Ströme geschäftlicher,
kollegialer und staatlicher Besorgnis. Halten wir uns
nicht lange auf mit der wiedererwachten Freundlich-
keit der Verkäufer, streifen wir nur kurz die besorg-
ten Mahnungen, die aus ihren Schaufenstern winken.
„Ist Ihre Uhr in Ordnung?" Nein, aber in fünf Jah-
ren habe ich mich daran gewöhnt, mich nach der
Sonne und dem Stand der Sterne zu richten.
„Denken Sie daran: Kurzschluß verursacht Aerge:.
Nehmen Sie eine neue Schnur für Ihr Bügeleisen
mit." Herr, wem sagen Sie das? Wie oft habe ich
Ihnen den Aergcr geschildert — mein Aerger ist
krisenfest, ich ärgere mich jetzt auch schon mit neuer
Strippe!

„Jetzt muß Ihr Pelzmantel repariert werden!" War-
um gerade jetzt? Er war schon vor Monaten in
Fetzen.

„Deine Zähne putzt du dir alle Tage, wie aber sieht
es in deinem Darm aus?" Das geht eigentlich nie-
manden etwas an, auch nicht den Händler mit Ver-
dauungspillen, aber in der Zeit fröhlicher Frage-
bogen-Offenheit wird sich wohl auch darauf eine
männlich klare Antwort finden lassen. Hoffentlich
aber macht der Zustand" unserer Innereien den Pil-
lenverkäufern keine vor Sorge schlaflosen Nächte.
Im zweiten Flußarm schwimmen unbekannte Freunde
unversehens heran. Wenn die Zeiten schlecht wer-
den, kümmern sich plötzlich Kollegen um einen, die
man noch nie gesehen hat. Von nebenan, von weiter-
her, von überall kommen klerhe forschende Anfragen
und Besuche. Hinterm „Wie geht es euch?" steckt
schon das forschende Mißtrauen: „Welcher Weg hat
sich euch schon aufgetan?" Jeder interessiert sich für
die Buchführung des anderen, fragt besorgt, ob er
auskomme, und möchte doch nur hören, wie's der
andere gemacht und gedreht und sich gerichtet hat.
Wie immer am besorgtesten um uns ist aber unser
aller Vater: Der Staat. Mit Eilboten sendet er seine
Steuerleute, auf den Strom der Besorgnis hinaus,
mahnt, an die Tabaksteuer zu denken und die Ein-
kommensteuerraten in neuem Geld zu zahlen, sendet
seine Kontrolleure haufenweis durch die Eisenbah-
nen und entwickelt auch eine rege polizeiliche Be-
treuungsaktion.

Da tritt aus dem Häuserschatten stiller Dorfstraßen
ein Polizist und fragt einen — wie ein Kinder-
mädchen seinen Pflegling — nicht, ob man aufs
Töpfchen müsse, sondern ob man auch seine Kenn-
karte schön eingesteckt hat. Und wie das Kinder-
mädchen beim „Nein" ist er fast ein wenig ent-
täuscht, wenn man bejaht. Sichtlich gern hätte er
einen durch eine kleine Strafgebühr lange an sich
und seine Betreuung erinnert und nur ein Radfahrer
ohne Katzenauge kann ihn auf andere, ebenso be-
sorgte Gedanken bringen.

Zu unserem eigenen Wohle sollen wir nicht mehr
jauchzend in Einbahnstraßen kehrtmachen und nicht
mehr schwarzfahren, keine Fahrscheine mehr auf den
Bürgersteig werfen, kurz, aus taufrischen Natur-
kindern wieder gesittete und gut funktionierende
Staatsbürger werden, die durch den polizeilichen
Kundendienst zu kleinen Preisen auf dem Weg des
Guten gehalten wefden, in treuer staatlicher Be-
sorgnis. Effi Horn
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"August Wisbeck 70 Jahre"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schlichter, Rudolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 14, S. 158.
 
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