II.
Die antike Allegorie in ihrem Verhältnis
zum Menschen.
Auf eigentümlich eindringliche Weise tritt jene religiöse
Entwicklung, die verwandelte Stellung des Menschen im Kos-
mos in der Umbildung in Erscheinung, welche die Mythologie
erfährt. Sie führt zur Allegorie, zu jenem Ausdrucksmittel also,
dessen sich die Darstellung monarchischen Ruhmes mit solcher
Vorliebe bedient hat. Der Grund hierfür scheint sich aus der
Entwicklungsgeschichte der Allegorie erkennen zu lassen.
Der Begriff der Allegorie umschließt für uns Heterogenes.
Aber zunächst ist sie nur sichtbarer Ausdruck für einen Ge-
danken, eine Idee und mithin Gleichnis. Doch können wir
heute, die wir ewige Kräfte nur als individuelle geistige Ein-
fälle noch spüren, diese Deutung der Allegorie doch nicht so
allgemein fassen: das Symbol, ja den Mythos schlösse sie für
uns ein, die rationale Brücke, welche die Allegorie durch
Bild und Gestalt einer unmittelbar empfundenen Wirklichkeit
zum Besonderen, ja Heterogenen schlägt, berücksichtigt sie
offenbar nicht. Doch sehen wir näher zu, so müssen wir ent-
decken, daß diese unwillkürlich Mythos und Symbol einbe-
ziehende Definition etwas Richtiges enthält. Die abendländische
Allegorie bis heute hat sich der griechischen Mythologie immer
als ihres Vorbildes bedient. Wir dürfen fragen, ob nicht ein
tieferer Zusammenhang dies begründet.
Die Natur ringsum, Wald, Fels und Bach waren dem Grie-
chen anfangs mit Göttern bevölkert, in denen die unsichtbaren
Wirkungen, die der Mensch überall spürte, sichtbare Gestalt an-
nahmen. Wir wissen, wie gewaltig jenes Götterheer ursprünglich
war. Nicht allein die Naturkräfte, selbst die Regungen der
menschlichen Seele, die Eigenschaften der Dinge, die Abstrak-
tionen des Gedankens traten hier lebendig auf. „Es drängt sich
die Frage auf“, sagt Usener,1) „ob die Sprache überhaupt ur-
*) Götternamen, Bonn. 1896 S. 371 f.
20
Die antike Allegorie in ihrem Verhältnis
zum Menschen.
Auf eigentümlich eindringliche Weise tritt jene religiöse
Entwicklung, die verwandelte Stellung des Menschen im Kos-
mos in der Umbildung in Erscheinung, welche die Mythologie
erfährt. Sie führt zur Allegorie, zu jenem Ausdrucksmittel also,
dessen sich die Darstellung monarchischen Ruhmes mit solcher
Vorliebe bedient hat. Der Grund hierfür scheint sich aus der
Entwicklungsgeschichte der Allegorie erkennen zu lassen.
Der Begriff der Allegorie umschließt für uns Heterogenes.
Aber zunächst ist sie nur sichtbarer Ausdruck für einen Ge-
danken, eine Idee und mithin Gleichnis. Doch können wir
heute, die wir ewige Kräfte nur als individuelle geistige Ein-
fälle noch spüren, diese Deutung der Allegorie doch nicht so
allgemein fassen: das Symbol, ja den Mythos schlösse sie für
uns ein, die rationale Brücke, welche die Allegorie durch
Bild und Gestalt einer unmittelbar empfundenen Wirklichkeit
zum Besonderen, ja Heterogenen schlägt, berücksichtigt sie
offenbar nicht. Doch sehen wir näher zu, so müssen wir ent-
decken, daß diese unwillkürlich Mythos und Symbol einbe-
ziehende Definition etwas Richtiges enthält. Die abendländische
Allegorie bis heute hat sich der griechischen Mythologie immer
als ihres Vorbildes bedient. Wir dürfen fragen, ob nicht ein
tieferer Zusammenhang dies begründet.
Die Natur ringsum, Wald, Fels und Bach waren dem Grie-
chen anfangs mit Göttern bevölkert, in denen die unsichtbaren
Wirkungen, die der Mensch überall spürte, sichtbare Gestalt an-
nahmen. Wir wissen, wie gewaltig jenes Götterheer ursprünglich
war. Nicht allein die Naturkräfte, selbst die Regungen der
menschlichen Seele, die Eigenschaften der Dinge, die Abstrak-
tionen des Gedankens traten hier lebendig auf. „Es drängt sich
die Frage auf“, sagt Usener,1) „ob die Sprache überhaupt ur-
*) Götternamen, Bonn. 1896 S. 371 f.
20