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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0267
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Eine einigermaßen feste Form gewann die neue Gesell-
schaft der französischen Hauptstadt erst unter dem Directoire.
Die alte Gesellschaft war der Verbannung oder der Guillotine
zum Opfer gefallen. Was jetzt Paris hieß, waren durchweg
neue Menschen, Emporkömmlinge, ohne Vergangenheit, und
auch ohne die Fähigkeit, aus sich heraus eine neue Kunst zu
schaffen, daher völlig abhängig von den Künstlern. Diese kann-
ten ihrerseits kein anderes Vorbild als dasjenige, auf dem die
ganze damalige Gesellschaft in ihren Anschauungen, ja in Le-
bensformen und Kostümen fußte, die alte römische Republik.
Wie also die Kunst in dieser Zeit römisch-republikanisch war,
so wurde sie in natürlicher Folge mit dem Sturz der Directoire
und der Erhebung Napoleons zum Kaiser römisch-kaiserlich.
Mit dieser Wendung treten neben den noch immer als
oberste Kunstautorität geltenden David zwei andere Männer,
die Architekten Percier und Fontaine, die bald die ganze de-
korative Kunst ihrer Zeit ebenso beherrschten, wie David die
hohe Kunst. Erfüllt von den Eindrücken der römischen An-
tike waren sie nach mehrjährigem Studium aus Rom zurück-
gekehrt. In Ermangelung großer Bauausführungen, zu denen
die Zeit keine Gelegenheit bot, wandten sie sich der Aufgabe
zu, die Wohnungsausstattung im Sinne der Antike zu gestalten,
und hatten das Glück, in Josefine Beauharnais eine, für die
ganze damalige Gesellschaft tonangebende Gönnerin zu finden.
Wenn die großen, zum Teil überaus kostbaren Aufträge aus
allen Gebieten der dekorativen Kunst, die diesen Künstlern
zuteil wurden, sich auch meist in der rein antiken Formen-
welt bewegten, so begegnen wir doch auch bei ihnen bald
gewissen Stilnuancen. So hatte der ägyptische Feldzug Bona-
partes das Interesse für die uralte Kunst dieses Volkes erweckt,
das durch die große Publikation Denon's genährt wurde. Von
den englischen Rationalisten wurde ein Ton hineingebracht,
der besonders den Anspruch erhob, modern zu sein; ja selbst
die Romantik fehlte nicht — zeigte doch Josefine selbst eine
Schwärmerei für die Gotik, die zu einigen seltsamen Versuchen
in diesem Stil führte.
Was für unser Auge allen diesen Kunsterzeugnissen einen
kalten, abgeleiteten Charakter gibt, das ist, daß sie reine Ver-
standesprodukte waren, daß kein Künstler dieser Zeit seine
Werke mit der Wärme des Genies zu erfüllen vermochte. So
war auch die Stellung des Publikums ein kühles, verstandes-
mäßiges. Der Kaiser selbst hatte gar keine persönliche Be-
ziehung zur Kunst. Trotzdem unterstützte er sie und das
Kunstgewerbe aus politischen Gründen in hervorragender
Weise. Zumal das letztere mußte mit seinen in feierlicher Gran-
dezza einherschreitenden Schöpfungen den Rahmen abgeben
für die Größe des Kaiserreichs. Diesem Umstande verdankt
 
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