Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Sonntags-Blatt: Gratisbeilage zum General-Anzeiger für Heidelberg und Umgegend — 1893

DOI Heft:
Nr. 45 - Nr. 48 (5. November - 26. November)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44552#0145
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Vlatt

Ilr. 45 Sonntag den 5. November 1893

Hratis-Weilage
zum
Neuen
Gkneml-AiUiM für Hki-elber- und AuiMud.

Strandgut.
Novelle von I. von Brun Barnow.
Fortsetzung.) - (Nachdruck verboten.)
Man versprach sich von dem Abend einen nicht geringen
Genuß. Nicht allein Campella, als bedeutender Künstler,
war für diesen gewonnen worden, sondern auch mehrere
Badegäste hatten, des guten Zweckes wegen, ihre Mitwirkung
jugesagt und hielten dadurch die Gesellschaft in gespannter
Erwartung. .
In sehr gehobener Stimmung befand
sich Frau Rechtsanwalt Karsten, die mit
dem jungen Baron in einem Mendelssohn'-
schen Quartett mitwirkte. Sie sonnte
sich dadurch in dem freundlichen Entgegen-
kommen der Exclusiven und zeigte sich be-
sonders empfänglich für die Aufmerksam-
keiten des jungen Barons, welcher die
wuntere, hübsche Frau ganz traitablo
sand und ihr etwas den Hof machte.
Sie hatte mit ihm die erste und zweite
Stimme in dem schönen QuartettEntflieh
Wit mir und sei mein Weib", welches
die erste Piece im Programm bildete und
außerordentlichen Beifall fand.
Der Rheder hatte sich mit seinen
Damen verspättet und erregte daher sein
Eintritt in den menschenüberfüllten Saal
einiges Aufsehen.
Mona sah, wie sich der junge Baron enthusiastisch aus-
drückte, „sinnenverwirrend schön" in ihrem weißen Kleide,
Wit den Anemonen im Haare aus.
„Ganz wie eine Loreley!" stimmte ihm ein neugebackener
Beferendar, der Sohn des Geheimraths Semmer, bei.
„Sie hat auch das Zeug zu dieser Erzkoketten", bemerkte
die Geheimräihin Semmer, welche diese Aeußerung gehört.
..Sehen Sie doch, liebe Selin," wandte sie sich an die
Osironigue 86Liickal6U86, die neben ihr saß, „wie sie kauni
M den Saal getreten, von ihrem Platze aus auch sofort
Wit Campella kokettirt. Es ist ihr nicht genug, daß sie den
Legationsrath in ihre Netze gezogen, sie muß auch diesen
Noch haben. Bemerken Sie nicht, wie er sie anstarrt?"
Signor Campella, den wir an diesem Concertabend als

Hauptperson nicht so flüchtig 'übergehen können, wie es bei
unserer ersten Begegnung geschehen, zeigte allerdings seine
Bewunderung so unverhohlen, daß sie nicht allein der
Oironiguk! 8«rm(ial6U86 und der Geheimräthin, sondern auch
dem Grafen Fabrie unangenehm ausfiel. Wie in einer Art
Verzauberung stand er da und blickte Mona an, als er nach
einer allgemeinen Verbeugung den Bogen mit meisterhafter
Fertigkeit über die Saiten seiner Geige gleiten ließ. Er war
eine imposante Erscheinung, in welcher eine heroische, glühende
Künstlerseele zu wohnen schien, die Alles in ihren Bann zog,
sobald er spielte. Das blonde, lockige,
leicht mit grau gemischte Haar fiel nach
Künstlerart lang und genial in den Nacken.
Die gebietenden schwarzen Augen, das
schöne Oval des edel geschnittenen Ge-
sichts, das, obgleich es keine Spur von
Bart zeigte, eine kraftvolle Männlichkeit
verrieth, machten ihn zu einer auffallenden
Erscheinung. Dazu kam, daß er, wie Herr
Karsten sagte, sich durch eine finstere
Melancholie überaus interessant bei den
Damen zu machen mußte.
Mona hatte ost seinem Geigenspiele
gelauscht, wenn es vom Strandhause zu
ihr hinüber getönt, bis zur Stunde ihn
aber nicht gesehen. So mächtig auch der
Eindruck seines Spiels auf ihr empfind-
sames, leicht erregbares Gemüth gewirkt,
so hatte doch ihre angeborene Scheu, von den
Eindrücken ihrer Seele zu reden, sie auch über diesen schweigen
lassen. Er selbst hatte von ihrer Schönheit viel schwärmen
hören, was seine Neugierde erregte. Trotzdem war es ihm
nie gelungen, mit ihr zusammen zu treffen und sie persönlich
kennen zu lernen.
So kam es, daß er an diesem Abend sich Mona zum
ersten Male Auge in Auge gegenübersah. Er starrte auf sie,
wie auf eine verklärte Lichlgestalt, und vergaß vollständig,
daß außer Mona noch Menschen im Saale anwesend waren.
Nur an sie richtete er sein Spiel. Nur für sie redete er
die Sprache seiner Seele, die er in dieses hineinlegte. Röthe
und Blässe wechselten bei dieser ihr so öffentlich und rücksichtslos
gezeigten Huldigung. Sie fühlte neben den begeisterten,
glühenden Blicken Campellas die dunklen des Grafen, ja fast

Arthur Graf von posadowsky-lvehner.
 
Annotationen