3. Herrschaf t und Gegenseitigkeit 41
gung auf andere Gebiete gestattet, und das gänzliche Absehen von nor-
mativen und teleologischen Momenten. Laband steht hier an einem
Wendepunkt des Positivismus101. War bei Gerber der Staatszweck im-
mer noch in seinem System enthalten — die Zweckbestimmung des
Staates kennzeichnet die rechtlichen Grenzen der Staatsgewalt102 —,
so ist die Staatsrechtslehre Labands ohne jeglichen Bezug auf den
Zweckgedanken konzipiert. Die Erfüllung der Staatsaufgaben geschieht
im rechtsfreien Raum, kann also nicht Gegenstand der Staatsrechts-
lehre werden. Die normative Anfüllung des Staates, die mit der Über-
nahme des Persönlichkeitsbegriffes einherging103, mußte in dem Augen-
blick wegfallen, da der Persönlichkeitsbegriff als rein juristischer Be-
griff gefaßt wurde. Der Staat ist nunmehr wieder Mechanismus zur
Erfüllung bestimmter Zwecke, die aber aus der juristischen Betrach-
tung ausgeschlossen bleiben. Der Staat ist „sich selbst Zweck, so daß
ihm rechtlich kein Hindernis entgegensteht, sein Bereich ins Beliebige,
selbst ins Unvernünftige auszudehnen"104.
Der Zusammenhang mit dem Herrschaftsbegriff Max Webers ist
nicht zu verkennen. In der formalen Definition von Herrschaft und zu-
gleich in dem Ausscheiden jeglichen Zweckmomentes in der Betrach-
tung von Herrschaft spiegelt sich die Haltung des staatsrechtlichen
Positivismus wieder. Während der Positivismus aber den Zweckgedan-
ken entbehren konnte, weil er aus einem Legitimitätsreservoir lebte,
das unerschöpflich schien, mußte mit der Ausweitung des Herrschafts-
begriffes vom Staat auf das Gemeinschaftshandeln als solches durch
Max Weber das Zweckmoment oder eine vergleichbare Kategorie in die
Erörterung einbezogen werden. Der Herrschaftsbegriff war zu formal
geraten, als daß er in dieser Fassung noch brauchbar gewesen wäre zur
soziologischen Klassifizierung des Gemeinschaftshandelns: er bedurfte
der Ergänzung. Als solche bot sich die den Zweckgedanken als Unter-
fall in sich enthaltende Frage nach dem Grund für die Akzeptierung
von Herrschaft an. Der Herrschaftsbegriff wurde differenziert durch
die Typologie der Legitimitätsarten.
101 Hespe, S.54sf.
i°2 Hespe, S. 52; vgl. v. Gerber, Grundzüge, S. 491: „Selbstverständlich
aber ist es, daß dieses Gewaltrecht nur innerhalb der Schranken besteht,
welche für die Staatsgewalt überhaupt gelten, und daß es auch nur in den
Formen ausgeübt werden darf, welche das Recht hierfür feststellt. Es ist
aber die eigenthümliche Natur dieses Gewaltverhältnisses, daß die Unter-
werfung nicht als eine Minderung des Rechts, sondern als eine Wohltat
empfunden wird; denn der ganze Zweck desselben ist die Gewährleistung
einer gedeihlichen Existenz in der Volksgemeinschaft."
103 Der Persönlichkeitsbegriff des deutschen Idealismus und damit auch
derjenige der Historischen Schule hatte den Zweckgedanken in sich ent-
halten, vgl. Hespe, S. 20 ff.
i»* Max Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, in: ZfgesStW. Bd. 28 (1872), S. 186:
zitiert nach Hespe, S. 58.
gung auf andere Gebiete gestattet, und das gänzliche Absehen von nor-
mativen und teleologischen Momenten. Laband steht hier an einem
Wendepunkt des Positivismus101. War bei Gerber der Staatszweck im-
mer noch in seinem System enthalten — die Zweckbestimmung des
Staates kennzeichnet die rechtlichen Grenzen der Staatsgewalt102 —,
so ist die Staatsrechtslehre Labands ohne jeglichen Bezug auf den
Zweckgedanken konzipiert. Die Erfüllung der Staatsaufgaben geschieht
im rechtsfreien Raum, kann also nicht Gegenstand der Staatsrechts-
lehre werden. Die normative Anfüllung des Staates, die mit der Über-
nahme des Persönlichkeitsbegriffes einherging103, mußte in dem Augen-
blick wegfallen, da der Persönlichkeitsbegriff als rein juristischer Be-
griff gefaßt wurde. Der Staat ist nunmehr wieder Mechanismus zur
Erfüllung bestimmter Zwecke, die aber aus der juristischen Betrach-
tung ausgeschlossen bleiben. Der Staat ist „sich selbst Zweck, so daß
ihm rechtlich kein Hindernis entgegensteht, sein Bereich ins Beliebige,
selbst ins Unvernünftige auszudehnen"104.
Der Zusammenhang mit dem Herrschaftsbegriff Max Webers ist
nicht zu verkennen. In der formalen Definition von Herrschaft und zu-
gleich in dem Ausscheiden jeglichen Zweckmomentes in der Betrach-
tung von Herrschaft spiegelt sich die Haltung des staatsrechtlichen
Positivismus wieder. Während der Positivismus aber den Zweckgedan-
ken entbehren konnte, weil er aus einem Legitimitätsreservoir lebte,
das unerschöpflich schien, mußte mit der Ausweitung des Herrschafts-
begriffes vom Staat auf das Gemeinschaftshandeln als solches durch
Max Weber das Zweckmoment oder eine vergleichbare Kategorie in die
Erörterung einbezogen werden. Der Herrschaftsbegriff war zu formal
geraten, als daß er in dieser Fassung noch brauchbar gewesen wäre zur
soziologischen Klassifizierung des Gemeinschaftshandelns: er bedurfte
der Ergänzung. Als solche bot sich die den Zweckgedanken als Unter-
fall in sich enthaltende Frage nach dem Grund für die Akzeptierung
von Herrschaft an. Der Herrschaftsbegriff wurde differenziert durch
die Typologie der Legitimitätsarten.
101 Hespe, S.54sf.
i°2 Hespe, S. 52; vgl. v. Gerber, Grundzüge, S. 491: „Selbstverständlich
aber ist es, daß dieses Gewaltrecht nur innerhalb der Schranken besteht,
welche für die Staatsgewalt überhaupt gelten, und daß es auch nur in den
Formen ausgeübt werden darf, welche das Recht hierfür feststellt. Es ist
aber die eigenthümliche Natur dieses Gewaltverhältnisses, daß die Unter-
werfung nicht als eine Minderung des Rechts, sondern als eine Wohltat
empfunden wird; denn der ganze Zweck desselben ist die Gewährleistung
einer gedeihlichen Existenz in der Volksgemeinschaft."
103 Der Persönlichkeitsbegriff des deutschen Idealismus und damit auch
derjenige der Historischen Schule hatte den Zweckgedanken in sich ent-
halten, vgl. Hespe, S. 20 ff.
i»* Max Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, in: ZfgesStW. Bd. 28 (1872), S. 186:
zitiert nach Hespe, S. 58.