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II. 2. Gründung und Sturz der Verfassung vom 25- April.
großen Volksversammlungen über nichts Anderes zn berathen, als nber
die Grausamkeit der Wiener Hausherren, über die schnöde Gewinnsucht
der Marktleute, über die freche Zudringlichkeit fremder Arbeiter, welche
den Eingeborenen die ohnehin schon karge Nahrung vorwegnahmen.
Wenn es hoch kam, so wurden volltönende Phrasen ohne sachlichen In-
halt über die Majestät des Volkes, über die Macht der Freiheit und
den gewissen Sieg der Demokratie declamirt. Gelangweilt durch die
letzteren, unbefriedigt dnrch die erfolglosen Reden vollzogen die Zuhörer,
überwiegend den unteren Classen angehörig, sehr balv den Proceß von
Versammlungen in geschlossenen Räumen zu tumultuarischen Zusammen-
rottungen auf öffentlichen SLraßen, wobei sie durch Katzenmusik, drohen-
des Gebrüll und zuweilen auch durch Steinwürfe ihren Willen kund-
thaten. Die Wiener Zeitungen, obgleich zahlreich wie Pilze aus der
Erde schießend, waren weit entsernt, die Aufgabe einer ehrenwerthen
politischen Presse zu begreifen oder selbst nur zu ahnen. Statt den
Verstand des Volkes aufzuklären, Kenntnisse zu verbreiten und ein ge-
sundes Urtheil zu wecken, trngen sie nach Kräften zur Verwirrung des
Volksgeistes, zur Lockerung der öffentlichen Sittlichkeit bei. Das Revo-
lntionsjahr hat in Deutschland, in Frankreich und Jtalien die Phantasie
übermäßig erhitzt, den hochfliegendsten politischen Jdealismus genährt.
Die Zeitungspresse verbrauchte in drei Monaten mehr Ausrufungszeichen,
als in ruhigeren Zeiten während dreier Jahre; man schrieb nicht blos
mit Vorliebe mit durchschossenen Lettern, auch die Gedanken zeigten
groben Lapidarstyl. Die Ueberschwänglichkeit, den schrankenlosen Radi-
calismus, als ob es gar keine bestehenden Zustände mehr gäbe und eine
neue Welt von Grund aus gebaut werden sollte, theilten die Wiener
Journale mit allen Zeitungen Mitteleuropa's und dürfen in dieser Hin-
sicht mit keinem besonderen Vorwurfe belastet werdeu. Wodurch sie sich
von denselben unterschieden, das war die unbeschreibliche Rohheit des
Ausdruckes, der wahrhast kindische Unverstand, mit welchem sie über die
öffentlichen Angelegenheiten sprachen. Schwer rächte sich jetzt der Cultur-
haß des alten Regimentes, die durch Menscheualter fortgesetzte Absper-
rung des Volkes von allen wichtigen Jnteressen. Das unpolitische Da-
sein der Oesterreicher war ehedem als ein Musterzustand gepriesen worden;
nun wo die Beschäftiguug mit der Politik zum täglichen Brode gehörte,
rief die Regierung vergeblich ein gereiftes politisches Urtheil an. Ein-
zelne Kenntnisse vom Staatswesen, iusbesondere von dem eigenthümlichen
Organismus des österreichischen Staatskörpers, waren nur in Beamten-
kreisen vorhanden, trotzdem blieben gerade diese letzteren von der jonr-
nalistischen Thätigkeit beinahe vollständig ausgeschlossen, nicht allein aus
Abneigung gegen die herrschende Richtung der Presse, sondern auch wegen
ihrer Unfähigkeit, politische Gedanken klar und volksthümlich auszudrücken.
Schreibpapier war im alten Oesterreich in großen Massen verbraucht
II. 2. Gründung und Sturz der Verfassung vom 25- April.
großen Volksversammlungen über nichts Anderes zn berathen, als nber
die Grausamkeit der Wiener Hausherren, über die schnöde Gewinnsucht
der Marktleute, über die freche Zudringlichkeit fremder Arbeiter, welche
den Eingeborenen die ohnehin schon karge Nahrung vorwegnahmen.
Wenn es hoch kam, so wurden volltönende Phrasen ohne sachlichen In-
halt über die Majestät des Volkes, über die Macht der Freiheit und
den gewissen Sieg der Demokratie declamirt. Gelangweilt durch die
letzteren, unbefriedigt dnrch die erfolglosen Reden vollzogen die Zuhörer,
überwiegend den unteren Classen angehörig, sehr balv den Proceß von
Versammlungen in geschlossenen Räumen zu tumultuarischen Zusammen-
rottungen auf öffentlichen SLraßen, wobei sie durch Katzenmusik, drohen-
des Gebrüll und zuweilen auch durch Steinwürfe ihren Willen kund-
thaten. Die Wiener Zeitungen, obgleich zahlreich wie Pilze aus der
Erde schießend, waren weit entsernt, die Aufgabe einer ehrenwerthen
politischen Presse zu begreifen oder selbst nur zu ahnen. Statt den
Verstand des Volkes aufzuklären, Kenntnisse zu verbreiten und ein ge-
sundes Urtheil zu wecken, trngen sie nach Kräften zur Verwirrung des
Volksgeistes, zur Lockerung der öffentlichen Sittlichkeit bei. Das Revo-
lntionsjahr hat in Deutschland, in Frankreich und Jtalien die Phantasie
übermäßig erhitzt, den hochfliegendsten politischen Jdealismus genährt.
Die Zeitungspresse verbrauchte in drei Monaten mehr Ausrufungszeichen,
als in ruhigeren Zeiten während dreier Jahre; man schrieb nicht blos
mit Vorliebe mit durchschossenen Lettern, auch die Gedanken zeigten
groben Lapidarstyl. Die Ueberschwänglichkeit, den schrankenlosen Radi-
calismus, als ob es gar keine bestehenden Zustände mehr gäbe und eine
neue Welt von Grund aus gebaut werden sollte, theilten die Wiener
Journale mit allen Zeitungen Mitteleuropa's und dürfen in dieser Hin-
sicht mit keinem besonderen Vorwurfe belastet werdeu. Wodurch sie sich
von denselben unterschieden, das war die unbeschreibliche Rohheit des
Ausdruckes, der wahrhast kindische Unverstand, mit welchem sie über die
öffentlichen Angelegenheiten sprachen. Schwer rächte sich jetzt der Cultur-
haß des alten Regimentes, die durch Menscheualter fortgesetzte Absper-
rung des Volkes von allen wichtigen Jnteressen. Das unpolitische Da-
sein der Oesterreicher war ehedem als ein Musterzustand gepriesen worden;
nun wo die Beschäftiguug mit der Politik zum täglichen Brode gehörte,
rief die Regierung vergeblich ein gereiftes politisches Urtheil an. Ein-
zelne Kenntnisse vom Staatswesen, iusbesondere von dem eigenthümlichen
Organismus des österreichischen Staatskörpers, waren nur in Beamten-
kreisen vorhanden, trotzdem blieben gerade diese letzteren von der jonr-
nalistischen Thätigkeit beinahe vollständig ausgeschlossen, nicht allein aus
Abneigung gegen die herrschende Richtung der Presse, sondern auch wegen
ihrer Unfähigkeit, politische Gedanken klar und volksthümlich auszudrücken.
Schreibpapier war im alten Oesterreich in großen Massen verbraucht