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Springer, Anton
Raffael und Michelangelo (Band 1): Bis zum Tode Julius II. — Leipzig, 1883 (2. Aufl.)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1308#0163
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V.
Die Deckenbilder in der Sixtinischen Kapelle.
jrei kleine Kapellen, unscheinbar in den Verhältnissen und
unbedeutend in den Maassen, die eine und die andere
sogar in einem grösseren Häusergewirre versbeckt und nur
mühsam zu entdecken, glänzen als die kostbarsten Schatz-
kästlein unserer Kunst Jede derselben gehört einem andern
Weltalter an, in jeder scheiht die Phantasie eines Jahrhunderts, was
sie an künstlerischen Reizen zu schaffen vermochte, vereinigt zu haben.
Diese drei Kapellen sind die Palatina in Palermo, die Sainte Chapelle
in Paris und die Sixtina in Rom. Goldiger Sonnenschein verklärt den
Normannenbau, die märchenhafte Pracht des Orients schimmert durch
den malerischen Schmuck, in welchem das Einzelne gegen den ver-
wirrenden Glanz des Ganzen zurücktritt und das Auge von dem zierlichen
Marmorgetäfel, den edel geformten Säulen, den farbenreichen Mosaiken
zur wundersamen Decke und mild leuchtenden Kuppel träumerisch auf
und nieder gleitet. Die unablässige Culturarbeit von Jahrtausenden bildet
die nothwendige Voraussetzung einer solchen Zauberschöpfung. Nicht
auf den Orient, nicht auf die Antike weist uns die Kapelle im Pariser
Justizpalaste aus der Zeit Ludwigs des Heiligen zurück. Die Phantasie,
welche diesem kleinen gothischen Musterbau das Leben gab, huldigte
neuen Idealen. Sie legte das Hauptgewicht auf die Verflüchtigung aller
schweren architektonischen Masien. Leichte Pfeiler kreuzen sich in luftigen
Bogen; wo sonst starke Wände lasten, ösfnen sich, Licht und Sonne ein-
ladend, weite Fenster. Farbentiefe Glasgemälde brechen glücklich die
sonst übermässige Helle, die Polychromie, über alle Pfeiler und Flächen
sich hinziehend, lässt den Gedanken an die berechnete, kalt verständige
Construction gar nicht aufkommen. So durchweht auch die Sainte
Chapelle ein poetischer Hauch, welcher sie trotz ihrer Kleinheit den
köstlichsten Schöpfungen der Gothik anreiht. Mit den beiden mittel-
alterlichen Kapellen verglichen, erscheint die Sixtina gar unbedeutend:
ein einfacher mässig grosser Saal, etwa 160 Fuss lang, 50 breit und 60
 
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