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Springer, Anton
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 1): Das Altertum — Leipzig, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.27217#0059
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Persische Säulen. Phiiuizische Buuteii.

in der die Langbalken der Decke lugern (Fig. 71a). Die Abhängigkeit wn einer älteren Holz-
architektur liegt klar zu Tage; nicht so sicher, aber doch wahrscheinlich ist, daß die Volutenkapitäle
in der assyrischen Baukunst gleichsalls eiue Einsatteliing zeigten uud daß die Tierkörper an die
Stelle der eiufachen Voluten traten. Jn den iuneren Räumen der Paläste kommt noch eine
zweite auffällige Säulenform dor. Auf dem dünnen, einer Metallröhre ähnlichen Stamme sitzt
ein Doppelkelch, dessen Teile durch eine Perlenschnur verbunden sind, dann folgt ein hohes ge-
rieftes Glied mit aufrechtstehenden Voluten oder Wiudungen zur Seite, als Uebergang znm
eigentlichen Kapitäl (Fig. 711>). Das Rätselhafte dieser Form scheint zn schwiuden, wenn man
die ägyptischen Ziersäulen mit ihrem reichen Blatt- und Volutenschmncke ihr zur Seite stellt
(Fig. 72). Alles Leichte, Bewegliche scheiut in das Steife und Harte übertragen zu sein. Jn-
dessen ist eine noch viel nähere Anknüpfuug in eigentümlichen Kapitälen gegeben, die neuerdings
auf dem Boden der kleinasiatischen Aeolis (Neandreia) gefunden worden sind; sie weisen auf
eine besondere äolische Ausbildung des Kapitäls hin, die wesentlich die gleichen Elemente wie
das persische Kapitäl enthält und diesem wohl zum Muster gedient hat.

So offcnbart die persische Kunst eine starke Fähigkeit, fremde Züge anfzunehmen und
mannigfach zu verflechten. Sie verliert dadurch aber nicht ihre Lebenskraft, bildet vielmehr für
das spätere Weltalter des Orients einen fruchtbaren Boden.

4. Phönizien nnd Kleinasien.

Die Stammesherrschaft war allmählich von Westen nach Osten, von Assyrern zu Medern
uud Persern gewandert. Der Zug der weltgeschichtlichen Bewegung ging aber unverrückt nach
Westen, dem Meere entgegen. Dorthin führten die großen Völkerstraßen, auf den Besitz der
Küstenlande waren die Absichten der Weltmonarchien gerichtet, dem östlichen Becken des Mittel-
meeres strebten die wichtigsten Karawanen und die gewaltigsten Heeresmassen mit gleichem
Eiser zu. Hier ist der wahre Schauplatz unserer älteren Weltgeschichte. Der reicheren Boden-
gliederung entspricht die größere Zahl von Völkerindividuen, die miteinander in mannigfachem
Austausch der Gedanken und der Güter leben und, wenn sie sich auch oft bekämpsen, doch auf-
einander angewiesen bleiben. Die ursprüngliche Eigentümlichkeit wird allmählich gemildert uud
abgeschliffen; zur besonderen Stammesbildung gesellen sich fremde Kultnreinflüsse. Es kreuzten
s!ch auf syrischem und kleinasiatischem Boden die assyrische und die ägyptische Macht und beide
ließen hier auch einzelne Spuren ihrer Kunstthätigkeit zurück.

Von großer Bedeutung erscheint die vermittelnde Wirksamkeit der schistkundigen, handel-
treibenden Phönizier. Sie umfaßte den ganzen damaligen Weltkreis, riß die einzelnen Stämme
aus ihrer Vereinzeluug, brachte überall neue Elemente der materiellen, oft äuch der religiösen
und künstlerischen Kultur hin. Die Phönizier, bald mit den Juden im Mittelalter, bald mit
den modernen Engländern verglichen, den einen verwandt durch den rastlosen, schmiegsamen Handcls-
geist, den anderen beinahe ebenbürtig durch ansehnlichen Kolonialbesitz, waren, was Phantasie
betrifft, mäßig begabt. Die Geschichte der großen mouumentalen Kunst weiß von ihnen kauni
mehr zu rühmeu, als ihre wunderbare Geschicklichkeit im Ouaderbau. Die von ihnen errichteten
Mauerwerke erscheinen wie ans einem Gusse, so trestlich sind sie gefügt. Fundamentmauern,
»us riesigen Quadern aufgetürmt (Tempel von Jerusalem? Baalbek), aus dem lebendigen Felsen
gehauene Riesensockel, auf denen sich Tabernakel oder kleine Kapellen, die Behälter göttlicher
Symbole, erheben, wie z. B. das Tabernakel von Amrith oder Marathos, die über Felsgräbern
errichteten Deukmale, wie das kreisrunde, scheinbar gewölbte zu Amrith (Fig. 73), reicher ge-
gliedcrt uud mit Zahnschuitten uud Zinuen verziert, immerhin aber noch massig und schwer,
 
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