4. Das Erwachen der Farbe in Deutschland.
219
Familie vor der Hinrichtung, den Tod Leonardos, Milton und seine Tochter, wie vereinzelte
Szenen aus der braudenburgisch-preußischen Geschichte schilderte. Doch besser als diese durch keine
persönliche Zutat ausgezeichneten Geschichtsillustrationen haben Schraders ehrliche und tüchtig gemalte
Porträts dem Wechsel des Urteils staudgehalten. Gustav Richter (1823—1884), dessen
neapolitanischer Fischerknabe alsbald aus allen Wandtellern, Bonbonnieren und billigen Broschen
erschien, dessen Königin Luise (im Kölner Museum) in unzähligen photographischen Nachbildungen
Eingang in das Bürgerhaus sand, dessen Bildnisse aber namentlich in der ersten Zeit als
koloristische Leistungen wirklichen Wert besaßen, stieg rasch zur Stellung eines vielbewunderten
Meisters empor. Rudolf Henneberg (1825—1876) malte in französischer Technik, nur
nüchterner, deutsch-romantische Balladeustosfe, wie den „Wilden Jäger" oder die „Jagd nach dem
Glück". Carl Becker (1820—1900) ebenso in unübersehbarer Zahl Bilder aus der Renaissance-
zeit, mit besonderer Vorliebe aus dem alten Venedig und aus der deutschen Reformatiousepoche,
in denen er von Othello und Desdemona (Abb. 232), von Dogen und Granden, von Festen
und Maskenzügen, von Albrecht Dürer und Karl V. erzählte. In diesen Gemälden aus der
Lutherzeit traf er sich mit Gustav Spangenberg (1828—1891), dem wir den „Zug des
Todes" verdanken. Becker wurde der erfolgreichste Vertreter des sogenannten „historischen
Sittenbildes", das von dem dramatischen Pathos der großen Geschichtsmalerei zu einer in-
timeren, aber auch meist auf äußerliche Reizungen und Effekte gestellten Schilderung des Lebens
vergangener Jahrhunderte, von den Schlachten, Hinrichtungen und Staatsaktionen zu harmloseren,
meist frei erfundenen Szenen im bunten Kostüm vergangener Zeiten, vom Epigonendrama zum
lebenden Bilde überging. Eduard Hildebrandt (1817—1868) übertrug dann den Berliner
Kolorismus auf die Landschaft und machte gar
eine Reise um die Welt, um seltene und sen-
sationelle Beleuchtungseffekte zu finden. In
seiner Vorliebe für die Farbenschauspiele des
Orients begegnete er sich mit Wilhelm Gentz
(1822—1890), der, wie auch Hildebrandt, sich
gleichfalls in Paris geschult hatte.
Neben der Historienkunst stand in der
Gunst des Publikums die Genremalerei, die es
mehr auf Unterhaltung als auf Belehrung ab-
gesehen hatte, wie aus der Bühne der damaligen
Zeit neben dem Jambenschauspiel das bürgerliche
Lustspiel, das Volksstück und die Posse standen.
Ganz deutlich spürt man hier überall litera-
rische Einflüsse. Denn wie die Dichtung sich in
jenen Jahren dem Leben der Gegenwart und der
„unteren Stände" vorsichtig zu nähern begann
und dabei zunächst auf die Bauerngeschichte
und den Dorsroman geriet, so ging auch die
Malerei vor. Dort gab Jmmermauns „Oberhof"
das Zeichen, Berthold Auerbach und Jeremias
Gotthelf folgten ihm bald unter ungeheurem
Beifall der Gebildeten. Hier war es Heinrich
Bürkel in München (s. o. S. 104), der sich
an die Spitze der deutschen Dorfmaler stellte.
285. Der erste Profit, Zeichnung von L. Knaus.
(Gazette des Beaux-Arts)
219
Familie vor der Hinrichtung, den Tod Leonardos, Milton und seine Tochter, wie vereinzelte
Szenen aus der braudenburgisch-preußischen Geschichte schilderte. Doch besser als diese durch keine
persönliche Zutat ausgezeichneten Geschichtsillustrationen haben Schraders ehrliche und tüchtig gemalte
Porträts dem Wechsel des Urteils staudgehalten. Gustav Richter (1823—1884), dessen
neapolitanischer Fischerknabe alsbald aus allen Wandtellern, Bonbonnieren und billigen Broschen
erschien, dessen Königin Luise (im Kölner Museum) in unzähligen photographischen Nachbildungen
Eingang in das Bürgerhaus sand, dessen Bildnisse aber namentlich in der ersten Zeit als
koloristische Leistungen wirklichen Wert besaßen, stieg rasch zur Stellung eines vielbewunderten
Meisters empor. Rudolf Henneberg (1825—1876) malte in französischer Technik, nur
nüchterner, deutsch-romantische Balladeustosfe, wie den „Wilden Jäger" oder die „Jagd nach dem
Glück". Carl Becker (1820—1900) ebenso in unübersehbarer Zahl Bilder aus der Renaissance-
zeit, mit besonderer Vorliebe aus dem alten Venedig und aus der deutschen Reformatiousepoche,
in denen er von Othello und Desdemona (Abb. 232), von Dogen und Granden, von Festen
und Maskenzügen, von Albrecht Dürer und Karl V. erzählte. In diesen Gemälden aus der
Lutherzeit traf er sich mit Gustav Spangenberg (1828—1891), dem wir den „Zug des
Todes" verdanken. Becker wurde der erfolgreichste Vertreter des sogenannten „historischen
Sittenbildes", das von dem dramatischen Pathos der großen Geschichtsmalerei zu einer in-
timeren, aber auch meist auf äußerliche Reizungen und Effekte gestellten Schilderung des Lebens
vergangener Jahrhunderte, von den Schlachten, Hinrichtungen und Staatsaktionen zu harmloseren,
meist frei erfundenen Szenen im bunten Kostüm vergangener Zeiten, vom Epigonendrama zum
lebenden Bilde überging. Eduard Hildebrandt (1817—1868) übertrug dann den Berliner
Kolorismus auf die Landschaft und machte gar
eine Reise um die Welt, um seltene und sen-
sationelle Beleuchtungseffekte zu finden. In
seiner Vorliebe für die Farbenschauspiele des
Orients begegnete er sich mit Wilhelm Gentz
(1822—1890), der, wie auch Hildebrandt, sich
gleichfalls in Paris geschult hatte.
Neben der Historienkunst stand in der
Gunst des Publikums die Genremalerei, die es
mehr auf Unterhaltung als auf Belehrung ab-
gesehen hatte, wie aus der Bühne der damaligen
Zeit neben dem Jambenschauspiel das bürgerliche
Lustspiel, das Volksstück und die Posse standen.
Ganz deutlich spürt man hier überall litera-
rische Einflüsse. Denn wie die Dichtung sich in
jenen Jahren dem Leben der Gegenwart und der
„unteren Stände" vorsichtig zu nähern begann
und dabei zunächst auf die Bauerngeschichte
und den Dorsroman geriet, so ging auch die
Malerei vor. Dort gab Jmmermauns „Oberhof"
das Zeichen, Berthold Auerbach und Jeremias
Gotthelf folgten ihm bald unter ungeheurem
Beifall der Gebildeten. Hier war es Heinrich
Bürkel in München (s. o. S. 104), der sich
an die Spitze der deutschen Dorfmaler stellte.
285. Der erste Profit, Zeichnung von L. Knaus.
(Gazette des Beaux-Arts)