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Dritter Abschnitt: 1850—1870.
den neuen Forschungen der Psycho-
logen, dem Treiben der Spiritisten
und Hypnotiseure nahe trat. Es ent-
standen seine merkwürdigen Affen-
szenen, seine Geisterbilder, seine
rätselhaften Frauen gestalten, diese
Medien mit den hysterisch - bleichen
Gesichtern nnd den dunkeln Glut-
augen: die Märtyrerinnen, Gret-
chens Erscheinung in der Walpurgis-
nacht, Katharina Emmerich, Astarte,
die junge Nonne; auch religiöse Ge-
mälde mit verwandten Zügen. Zu-
letzt verlor sich Max immer tiefer
in vage Spekulationen und seine
Typen wurden durch häufige Wieder-
holung immer leerer.
Zu den feinsten Künstlern der
MünchnerPiloty-Schule gehört Otto
vonFaber duFaur(1828—1901),
der seine bedeutenden malerischen
Fähigkeiten in Paris weiter ausbil-
dete und in seinen kleinen Schlachten-
bildern Kunstwerke von außerordent-
lichem Reiz schuf, die in Frankreich
noch mehr Anklang fanden als in Deutschland. Gleich ihm war der Frankfurter Viktor Müller
(1829 —1871), der den letzten Teil feines allzu kurzen Lebens in München verbrachte, bei den
Franzofen in die Lehre gegangen. Er hatte bei Couture studiert und auch von Courbets Realismus
einiges übernommen, aber am stärksten und nachhaltigsten hat Delacroix auf ihn gewirkt, dem er
auch in seiner romantischen Neigung zu den Shakespeare-Stoffen gern folgte (Abb. 231). In
Müllers Bildern steckt eine so machtvolle, sinnlich glühende Farbe, ein so tief empfundenes dramatisches
Leben und ein so starker, in andachtsvollem Naturstudium gebildeter Wirklichkeitssinn, daß nichts
Ähnliches aus jener Zeit mit ihnen zu vergleichen ist. Fernab von jeder Theaterpose und allen
„schönen" pathetischen Gebärden fand er den echten Naturlaut der Leidenschaft und die unmittelbar
wirkende Poesie des koloristischen Ausdrucks. Wie vorher mit Rethel, sanken nun mit ihm, als er
wenig über vierzig Jahre alt von hinnen ging, viele unerfüllt gebliebene Hoffnungen ins Grab.
So starke Persönlichkeiten wie Süddeutschland hatte die koloristische Bewegung im Norden
nicht aufzuweisen. Doch auch in Berlin gab man sich redliche Mühe, durch Vermittlung der
Franzosen die malerische Technik zu verbessern. Fast alle die Künstler, die dort um die Mitte
des Jahrhunderts und darüber hinaus Erfolge hatten und als Lehrer an der Akademie wirkten,
waren nach Paris gegangen, und die Minderzahl der übrigen geriet durch fie wenigstens
mittelbar unter den Einfluß der Pariser Vorbilder. Die Sachlage war hier die gleiche wie in
München: zur Rezeption des neuen Lebens und des modernen Gefühlsinhalts gelangte man ebenso-
wenig wie zu einer tieferen Beseelung der farbigen Anschauung, wohl aber zu einem Fortschritt
in der äußeren Behandlung des Kolorits nnd in der virtuosen Pinselführung. Der Historiker der
Berliner Schule ist Julius Schrader (1815—1900), der den Abschied Karls I. von seiner
234. Peter Louis Ravens, von L. Knaus.
Berlin, Sammlung Ravens.
Dritter Abschnitt: 1850—1870.
den neuen Forschungen der Psycho-
logen, dem Treiben der Spiritisten
und Hypnotiseure nahe trat. Es ent-
standen seine merkwürdigen Affen-
szenen, seine Geisterbilder, seine
rätselhaften Frauen gestalten, diese
Medien mit den hysterisch - bleichen
Gesichtern nnd den dunkeln Glut-
augen: die Märtyrerinnen, Gret-
chens Erscheinung in der Walpurgis-
nacht, Katharina Emmerich, Astarte,
die junge Nonne; auch religiöse Ge-
mälde mit verwandten Zügen. Zu-
letzt verlor sich Max immer tiefer
in vage Spekulationen und seine
Typen wurden durch häufige Wieder-
holung immer leerer.
Zu den feinsten Künstlern der
MünchnerPiloty-Schule gehört Otto
vonFaber duFaur(1828—1901),
der seine bedeutenden malerischen
Fähigkeiten in Paris weiter ausbil-
dete und in seinen kleinen Schlachten-
bildern Kunstwerke von außerordent-
lichem Reiz schuf, die in Frankreich
noch mehr Anklang fanden als in Deutschland. Gleich ihm war der Frankfurter Viktor Müller
(1829 —1871), der den letzten Teil feines allzu kurzen Lebens in München verbrachte, bei den
Franzofen in die Lehre gegangen. Er hatte bei Couture studiert und auch von Courbets Realismus
einiges übernommen, aber am stärksten und nachhaltigsten hat Delacroix auf ihn gewirkt, dem er
auch in seiner romantischen Neigung zu den Shakespeare-Stoffen gern folgte (Abb. 231). In
Müllers Bildern steckt eine so machtvolle, sinnlich glühende Farbe, ein so tief empfundenes dramatisches
Leben und ein so starker, in andachtsvollem Naturstudium gebildeter Wirklichkeitssinn, daß nichts
Ähnliches aus jener Zeit mit ihnen zu vergleichen ist. Fernab von jeder Theaterpose und allen
„schönen" pathetischen Gebärden fand er den echten Naturlaut der Leidenschaft und die unmittelbar
wirkende Poesie des koloristischen Ausdrucks. Wie vorher mit Rethel, sanken nun mit ihm, als er
wenig über vierzig Jahre alt von hinnen ging, viele unerfüllt gebliebene Hoffnungen ins Grab.
So starke Persönlichkeiten wie Süddeutschland hatte die koloristische Bewegung im Norden
nicht aufzuweisen. Doch auch in Berlin gab man sich redliche Mühe, durch Vermittlung der
Franzosen die malerische Technik zu verbessern. Fast alle die Künstler, die dort um die Mitte
des Jahrhunderts und darüber hinaus Erfolge hatten und als Lehrer an der Akademie wirkten,
waren nach Paris gegangen, und die Minderzahl der übrigen geriet durch fie wenigstens
mittelbar unter den Einfluß der Pariser Vorbilder. Die Sachlage war hier die gleiche wie in
München: zur Rezeption des neuen Lebens und des modernen Gefühlsinhalts gelangte man ebenso-
wenig wie zu einer tieferen Beseelung der farbigen Anschauung, wohl aber zu einem Fortschritt
in der äußeren Behandlung des Kolorits nnd in der virtuosen Pinselführung. Der Historiker der
Berliner Schule ist Julius Schrader (1815—1900), der den Abschied Karls I. von seiner
234. Peter Louis Ravens, von L. Knaus.
Berlin, Sammlung Ravens.