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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0083
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2. Die ältere Düsseldorfer Schule. — 3. Schinkel und Rauch.

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dem „modernen Totentanz". Aus der erregten Stimmung des Jahres 1848 ist diese Folge
entstanden. An die alten Meister des Mittelalters und ihren größten Ausläufer, Hans Holbein,
knüpfte Rethel an; wie Holbein zeichnete er seine phantastischen Entwürfe auf den Holzstock.
Es ist ein wildes Lied von den Schrecken der Revolution, das hier erklingt. Aus seiner Mähre
trabt der Tod, die Zigarre im grinsenden Munde, ans die Stadt zu, er reizt die Bürger zum
Aufstand, er kommandiert die fanatisierten Massen auf der Barrikade (Abb. 65), und als Sieger
reitet er triumphierend, wie später Stucks „Krieg", über ein Feld von Leichen dahin. Und
wie bei dem empörten Volke, so treibt das erbarmungslose Gerippe bei den genußsüchtigen
Reichen fein satanisches Spiel. Doch auch als Freund kann der Tod erscheinen. Im letzten,
berühmtesten Blatte dieser unvergleichlichen Kompositionen ist er ins stille Turmgemach des
alten Glöckners getreten, der nach einem langen Leben voll Arbeit und Mühen sanft in feinem
Lehnstuhl entschlafen ist. Wie vielen hat der Alte einst das klagende Sterbeglöcklein ertönen
lassen — nun läutet Freund Hein, ein milder Tröster, den Treuen selbst ins bessere Jenseits
hinüber. Und weit dehnt sich in der Tiefe das deutsche Land. Diese Totentanzblätter zeigen
Rethel als einen Künstler, der innigsten Anteil nahm am Leben der Zeit. Das ist's: er floh
nicht mit umgehängten Scheuklappen aus der Gegenwart, sondern er blieb ein Sohn seines
Jahrhunderts und blickte mit modernen Augen in die Zeit der Helden und der Sage zurück.
5. Schinkel und Rauch.
Wenn man das Kunstleben in München und Düsseldorf betrachtet, fo empfängt man un-
willkürlich den Eindruck, als ob die Malerei alle Kräfte uud alles Jnterefse der deutschen
Künstler und Kunstfreunde ausschließlich in Anspruch genommen hätte. In Düsseldorf herrscht
sie unbedingt, in München drängt sie die Leistungen auf dem Gebiet der Architektur und
Skulptur entschieden in den Hintergrund zurück. Da tritt nun Berlin ergänzend hinzu. Während
sonst überall die Architektur ziellos zwischen den verschiedenen Stilen hin- und herschwankte
und die überlieferten Formen nur mechanisch und rein äußerlich zu wiederholen verstand, gab
Karl Friedrich Schinkel (1781—1841) der Baukunst wieder einen einheitlichen, organischen
Charakter und lehrte die Gesetze der Formenbildung erkennen. Und wie Schinkel den Archi-
tekten neue Wege wies, so wirkte Christian Rauch (1777—1857) in hohem Maße belebend
im Kreise der Bildhauer. Für die Welt idealer Gestalten hatte bereits Thorwaldsen die lange
befolgten Muster geboten. Das Reich der Porträtskulptur war aber dabei einigermaßen zu
kurz gekommen. Die Aufgabe, das persönlich Charakteristische zu reicher Geltung zu bringen,
ohne in platten oder malerischen Naturalismus zu verfallen, harrte noch ihrer Lösung. Diese
brachte Rauch. Beide Künstler aber, Schinkel wie Rauch, durften den Berliner Boden als für
ihre Richtung besonders gut vorbereitet loben und behaupten, daß sie die hier vorhandenen
Überlieferungen nur vollendeten. Das gab ihrem Auftreten eine große Sicherheit und unter-
scheidet die Berliner Kunst nicht wenig zu ihrem Vorteil von den anderen deutschen Schulen,
die nicht auf historischem, sondern künstlich für sie geschaffenem Boden ihre Wirksamkeit beginnen
mußten. Schinkels Vorgänger war der frühverstorbene Friedrich Gilly (1771 —1800),
Rauch ging aus der Schule des alten Gottfried Schadow (1764—1850) hervor. Es weckt
immer neue Bewunderung, daß dieser Mann, der in seiner Jugend nach Boucher gezeichnet
und Rom noch vor Carstens und Thorwaldsen, also zu eiuer Zeit besucht, in der dort eine
recht bedenkliche Manier herrschte, die Antike zu betrachten und die Natur zu studieren, sich
den kräftig gesunden Kunstsinn und die unbefangene, klare Naturbeobachtung so unversehrt
bewahrte. Schadow brach nicht unbedingt mit der Überlieferung; er behielt in seinen Reliefs
zuweilen noch den malerischen Stil bei, z. B. in dem Flachbild, das Zietens Angriff bei Roth-
 
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