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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0274
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232

Dritter Abschnitt: 1850—1870.


248. Flora, von I. B. Carpeaux.

5. Die historischen Stile in Pckastik, Architektur und Aunstgewerbe.

„Historienkunst" war um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das Schlagwort der
Malerei geworden. Historienkunst im doppelten und dreifachen Sinne; denn stofflich wie tech-
nisch, in der Wahl der Gegenstände wie in der Art ihrer Behandlung, in der Komposition
wie im Kolorit blickte man gern aus die Vergangenheit zurück. Aber die Malerei als die
beweglichste der bildenden Künste stellte auch zuerst Persönlichkeiten ins Feld, die diese rückwärts
gerichtete Frontstellung änderten. Die Plastik und die Architektur sowie die angewandte Kunst,
durch ihre stärkere materielle Gebundenheit aus eine langsamere Entwicklung angewiesen, blieben
noch auf Jahrzehnte hinaus im Bann der historischen Stile, deren Einfluß fugenartig hinter-
einander einsetzte, bis sie sich die Hand zum Bunde reichten und gemeinsam die Herrschaft über-
nahmen. Der Klassizismus hatte die gesamte Kunst vor das Muster der Antike gestellt, die
Romantik der Formensprache des Mittelalters neue Anhängerschaft geworben. Beide Be-
wegungen wurden nun, um 1850, durch das wiedererwachte Interesse an der Renaissance ab-
gelöst, das sich bald überall fühlbar machte. Aber auch dabei blieb man nicht stehen. Die
kunstgeschichtlich gebildete Zeit wollte ihr neues Wissen zeigen, nach dem sechzehnten Jahrhundert
nahm sie die vordem verpönte Periode des Barockstils vor, um auch an dieser ihre imita-
torische Begabung zu üben, und es war nur natürlich, daß man von hier aus auch den letzten
Schritt zum Rokoko machte, so daß das neunzehnte Jahrhundert zuguterletzt den gesamten
Entwicklungsgang aller früheren Jahrhunderte bis zu dem weltgeschichtlichen Einschnitt der
französischen Revolution in raschem Kreislauf noch einmal durchmessen hatte und sich schließlich,
von historischen Kenntnissen über und über bepackt, in einen tollen Wirbeltanz des skrupellos
 
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