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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0273
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4. Das Erwachen der Farbe in Deutschland.

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Spezialität sand. Einen bedeutenden Schritt vorwärts tat jedoch August von Pettenkofen
(1822—1889), dessen Anfänge sich gleichfalls noch in altwienerisch-vormärzlichen Bahnen be-
wegen, der sich aber bald in die Schule der Franzosen begab. Auch Pettenkofen trat in Paris
der Kunst Meissoniers nahe, mit dem er die Vorliebe für kleine, ja winzige Formate teilte,
aber er strebte über die kecken und prickelnden Buntheiten dieses Meisters hinaus zu einem
harmonischen Ausgleich der kontrastierenden Valeurs und zu einheitlicher Tonwirkung, die er
an andern Mustern studierte. So schuf er die lange Reihe seiner Bildchen aus Ungarn und
Slavonien, seine Hütten, Bauernhöfe, Küchen, Werkstätten, Fuhrwerke (Abb. 245), Zigeunerlager
und Stallinterieurs, seine Märkte mit ihrem Gewimmel von miniaturhaften Menschen-
und Pferdegestalten, die meist aus der kleinen Theißstadt Szolnok stammen, dann seine Veduten
aus Italien, vor allem aus Venedig, — kostbare Kunstwerkchen von juwelenhaftem Reiz und
subtilster Abdämpfung aller koloristischen Härten, die in einer Skala überaus vornehmer grauer
Töne den malerischen Zauber leuchtender Helligkeit und warmer Schattenlagen mit feinen und
doch breiten Strichen wiedergeben.
Einen starken Niederschlag sand die in Paris ausgebildete Kunst der intimen Naturauf-
fassung und der harmonischen Einheit des Tons schließlich in München, wo ihr Christian
Morgenstern schon früher, auf Kopenhagener Anregungen fußend, den Boden bereitet hatte.
Eduard Schleich d. Ä. (1812—1874), der sich auf seinen Schultern erhob, verband Einflüsse
der altholländischen Meister mit dem, was er auf seinen Studienfahrten durch Belgien und
Frankreich gelernt hatte, in seinen ernsten Stimmungslandschaften aus der Jsargegend, dem
Dachauer Moos und von den bayerischen Seen (Abb. 246), doch blieb seine Farbe trotz ihrer
besseren Schulung hinter Morgensterns lebendiger Frische vielfach zurück. Die Jüngeren, wie
etwa Anton Teichlein (1820—1879), schlossen sich dann unmittelbar an die Fontainebleauer
an, die in Adolf Lier (1826—-1882) ihren talentvollsten und erfolgreichsten Propheten in
Deutschland fanden (Abb. 247). Lier hatte namentlich bei Duprs gelernt, und deutlich ver-
nehmen wir das Echo der Kunst von Barbizon aus seinen Münchner Werken, aus diesen
schlichten Landschaftsblicken von der süddeutschen Hochebene mit ihren Herden und pflügenden
Bauern, ihren rauschenden Baumgruppen und weiten Fernblicken, ihrem sonoren Farbenklang
und ihren unmittelbar auf Dupre zurückweisenden Lichterspielen der aufsteigenden und unter-
gehenden Sonne, die durch eine reife Auffassung der atmosphärischen Probleme gebändigt und
in die Stimmung des Ganzen eingeordnet erscheinen. Liers Bilder sind es vor allen andern
gewesen, die einen Umschwung in Deutschland herbeisührten, da er als vortrefflicher Lehrer
einem großen Kreise eifriger Schüler (unter ihnen vor allem der Schweizer Adolf Stäbli,
geb. 1842) die in Barbizon gewonnenen Erfahrungen weitergab nnd so für die Verbreitung
einer neuen und vertieften Erkenntnis der Natur sorgte.
Doch neben allen diesen tüchtigen Kräften stand schon längst eine Gruppe weit mächtigerer
Persönlichkeiten, die alle Sehnsucht der Zeit mit der Kraft des Genies zusammenfaßten und
der deutschen Kunst aus Eignem große neue Ziele setzten. Schon waren Anselm Feuerbach,
Arnold Böcklin, Hans von Marses an der Arbeit. Und in München, dem Mittelpunkt des
deutschen Kunstlebens, zu dem auch diese Trias Beziehungen unterhält, tritt, sie ergänzend, Wil-
helm Leibl auf. Diese vier Meister erst sind es, die das Fundament der modernen Malerei in
Deutschland legen; die Betrachtung ihres Schaffens soll darum den Abschnitt eröffnen, der von
der jüngsten Epoche unserer Kunst handelt.
 
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