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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0354
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Vierter Abschnitt: 1870—1900.

2. Die moderne Malerei in Deutschland.
Während die Entwicklung in Frankreich unaufhaltsam fortgeschritten war, kamen in Deutsch-
land die Gedanken der neuen Kunst nur stockend vorwärts. Es fehlte hier der große Mittel-
punkt einer nationalen Hauptstadt, in der sich alle Kräfte der Nation sammelten. Es fehlte
der seit Jahrhunderten kultivierte Geschmack einer kunstfreundlichen Gesellschaft, die den Künstlern
eine Stütze hätte fein können. Es fehlte nicht minder eine technische Tradition in der Be-
handlung der Farbe, wie sie Paris besaß. Wir haben die deutsche Malerei zu einer Zeit ver-
lassen, wo es um ihr Schicksal recht trübe aussah. Die hoffnungsvollen Keime vom Anfang
und von der Mitte des Jahrhunderts waren nicht aufgeblüht, und die „große Kunst" der
Historienbilder hatte mit ihrem Nebenschößling, der Genremalerei, das ganze Niveau der Pro-
duktion herabgedrückt. Es ist bezeichnend für das Wesen der deutschen Kunst, daß die ersten
großen Persönlichkeiten, die aus diesen Niederungen wieder zur Höhe emporsührten, sich in
ihren Tendenzen von den französischen Reformatoren und Revolutionären durchaus unterschieden.
Die Namen Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach, Hans von Marses lassen uns sofort
an andere Dinge denken, als an eine Eroberung der modernen Wirklichkeit oder an eine Malerei,
die lediglich die Verfeinerung und Ausbildung des Farbengefchmacks zum Ziel hat. Was diese
Meister suchten, war eine Kämst, die in großen und machtvollen Raumwirkungen einer tiefen
Sehnsucht der Seele Erfüllung bringen, die aus dem Alltag in ferne Schönheitswelten führen,
in bedeutenden Linien und klangvollen Farbenakkorden das Gefühl des Beschauers im Innersten
wecken sollte. Mit französischem Maßstabe gemessen find alle drei keine Pfadfinder der „Malerei"
im engeren Sinne, obschon sie auch nach dieser Richtung hin Bedeutendes geleistet haben. Ihr
Ziel war: innere Welten lebendig zu machen, Empfindungen durch bildliche Darstellung auf-
zurütteln und abzuspiegeln, das Lebensbewußtsein der Zeitgenossen machtvoll zu steigern. Was
sie auf diesem Wege schufen, ist weniger und mehr, als die Franzosen uns gegeben haben. Sie
liefern die deutsche Ergänzung dazu, und grade mit ihren Schwächen und Unvollkommenheiten
lieben wir sie.
Arnold Böcklin (1827—1901) hat aus seiner Abneigung gegen den Pleinairismus
und Impressionismus niemals ein Hehl gemacht. Einem seiner Schüler gegenüber, die später
ihre Erinnerung an den Meister und ihre Tagebücher aus der Zeit des Verkehrs mit ihm
Herausgaben, hat Böcklin einmal gesagt, die Franzosen suchten „den Menschen in der Luft dar-
zustellen", er selbst „den Menschen im Raum". Es ist kein Zweifel, daß das Festhalten an
diesem Dogma, wie er es auffaßte, ihn verhindert hat, fein Farbenempfinden in der Linie auszu-
gestalten, auf der es sich in feiner Jugend bewegte. In feiner Frühzeit, als der junge Baseler
aus dem Düsseldorfer Atelier Schirmers über Belgien und Paris im Jahre 1850 zuerst nach
Rom kam, hat er einen malerischen Geschmack an den Tag gelegt, der die höchsten Erwartungen
erwecken mußte. Die Waldinterieurs dieser Zeit mit ihren geheimnisvollen Schatten, die groß
gesehenen Landschaftsausschnitte mit ihren Felsenschluchten, rauschenden Bäumen und ziehenden
Wolken, dazwischen die kleinen Figuren seiner Menschen und Götter, die von matten oder
leuchtenden goldenen Lichtern überglänzt sind, haben eine Wärme und Tiefe des Kolorits, die
später immer seltener werden. Es wäre eine falsche Ehrfurcht vor Böcklins Genie, wollte man
leugnen, daß er in den folgenden Jahrzehnten oft genug zu einer glatten und harten, sogar
süßlichen, ja Porzellanigen Farbe gekommen ist, die manche seiner Werke in der Schwarzweiß-
Reproduktion, die alles auf den Gegensatz von Linie und Fläche, von Licht und Schatten ein-
schränkt, reiner genießen läßt als im Original. Die malerische Rückwärtsentwicklung, die man
bei Menzel antrifft, und die leider charakteristisch bleibt für die meisten großen Deutschen des
 
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