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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — 5.1920/​1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.52778#0077
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Ch. A. Coypel (Nr. 84 und 85) und aus noch späterer Zeit eine Tiergruppe,
hervorragende Erfindung nach F. Desportes (Nr. 88) sowie die Bildnisse
der Kaiserin Maria Theresia und Kaisers Josef I. nach Ducreux von Cozette
ausgeführt (Nr. 89 und 90).
Die meisten der vorgeführten Tapisserien sind Brüsseler Arbeiten
und tragen oft die bekannte Marke in der dunklen Umrahmung oder auch
im Bildfeld. Die frühen Arbeiten der Brüsseler Fabrik sind in kunsttheore-
tischem Sinn die besten, und zwar um so besser, je ferner sie sich von
eigentlich malerischer Bildwirkung mit starker Modellierung und eingehender
Linienperspektive halten. In diesem Sinne können die „Verduren“ aus der
Zeit Karls V. als künstlerisch besonders bedeutend hervorgehoben werden.
Von ausgeglichener Färbung sind auch die alten Rücklaken mit der Taufe
Christi, die im wesentlichen der Erfindung des Rogier v. d. Weyden ent-
nommen sind. Die Trachten darauf zeigen eine Vermengung alter Kostüme
des 15. Jahrhunderts mit solchen aus der Zeit um 1500.
Nicht in allen Fällen läßt sich ermitteln, wer der Erfinder der gewirkten
beziehungsweise gestickten Bilder gewesen, doch ist eine Reihe von be-
rühmten Namen zu nennen, wie B. v. Orley, P. Coeck v. Alost, P. P. Rubens
(für die Deciusreihe und die Konstantinbilder), Jacob Jordaens (für den
Reitunterricht Louis XIII. und einige sittenbildliche Darstellungen, die in einem
Fall auch die Mitwirkung eines Frans Sneyders erkennen lassen in bezug
auf Tiere, Gemüse und Obst), van den Hoecke, fast sicher Th. v. Thulden,
Dav. Teniers II. (Nr. 79 mit der Signatur des Stickers Leyniers). Lebrun,
H. de la Peigne, Coypel, Desportes wurden schon oben genannt. Gar oft
ist man auf die Stilkritik angewiesen, die sich im Kreis der italisierenden
Flandrer des 16. Jahrhunderts umzusehen hat. Genug der Beispiele wären
anzuführen. Bei den Brüsseler Tapisserien mit den Taten des J. de Castro
(einige davon waren auch 1890 im Österreichischen Museum für Kunst und
Industrie ausgestellt) kommt wohl der Deutsche Jakob Seisenegger als Er-
finder in Frage. Aber von welchem Italienpilger aus den Niederlanden wird
der üppige Thronhimmel sein (Nr. 44), der stark italisiert, aber in Einzel-
heiten seiner Bordüre doch den Niederländer verrät. Zwei Figürchen sind
mit Schlittschuhen versehen und eine dritte ist auf einem sogenannten Prick-
slede dargestellt, das ist auf einem kleinen Schlitten, der mit Stöcken weiter
bewegt wird. Auch von den Marken der Tapissiers sind viele noch nicht
gedeutet. Das soll uns aber den Genuß nicht vergällen, um so weniger als
ja doch der Tapissier nicht Erfinder, sondern nur geschickter Ausführer ist,
bei dem es weniger auf die Feststellung des Namens ankommt. Nimmt man
aber die Sache genau, so eröffnet uns die Ausstellung einen weiten Aus-
blick auf unbeantwortete kunstgeschichtliche Fragen, die sich vor der jün-
geren Generation der Forscher ausbreiten.
Den Kunstfreunden, die etwa mit dem Fach der Tapisserie noch nicht
vertraut sind, sei der Wink gegeben, daß sie beim kleinen E. Müntz „Histoire
de la tapisserie“ (in mehreren Auflagen verbreitet) beginnen und sich von
der großen „Histoire general de la Tapisserie“ (von Ouiffrey, Müntz und
anderen) weiter durch die Literatur geleiten lassen mögen.
Den Anregern und Veranstaltern der neuen Ausstellung im Belvedere,
nicht zuletzt den Herren Regierungsrat H. Trenkwald und Architekten Prof.
Karl Witzmann wird man für ihre Bemühungen Dank wissen, zumal in Wien.
 
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