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Roman Z/merzchowski

plazierte Statuę die im allgemeinen Empfinden wohl „natiirlichste” Form der Koexistenz dieser
beiden Kunstgattungen, ganz im Gegensatz zu der durch Vergewaltigung der plastischen Figur
gleichsam „kiinstlichen” Verbindung von Plastik und Pfeiler in Gestalt der Karyatide oder Her-
me.
In fast allen Kulturformationen gab es die Tendenz zur Verkntipfung von Plastik und Archi-
tektur, die im iibrigen auf unterschiedliche Weise realisiert wurde - entweder durch Bedeckung
ausgewahlter Oberflachen des Bauwerks mit einem dichten Relief oder aber durch lockere Ver-
bindung der freistehenden Statuę mit der architektonischen Umgebung (z.B. in Kolumnaden oder
auf Platzen).
Die hellenistisch-rómische Konzeption der Figur in der Nische bildet im formalen Sinn eine
Kompromisslósung - die Figur behalt ihre relative Autonomie dank ihrer Isoliertheit von der un-
mittelbaren Umgebung der Bauwandoberflache (der andere Charakter des Raumes in der Nische
wird deutlich sichtbar gemacht), wobei die Figur gleichzeitig ais ein Element der Wand selbst
behandelt wird, sowohl in Anbetracht ihrer Oberflache (die Figur „erganzt” namlich die Einsen-
kung der Oberflache, ihre am meisten nach aussen vorgeschobenen Punkte befinden sich ge-
wóhnlich in der Ebene der Flucht des nachsten Wandabschnitts) ais auch des angenommenen
Rhythmus der Aufteilung, was dessen spezifischen Kontrapunkt oder dessen Erganzung bildet.
Mit der Form der Nische selbst, die zweifellos eine Art verkleinerter Apside ist, sind auch
bestimmte ideelle Inhalte verbunden, die gleichsam von der monumentalen Apsidenform iiber-
nommen wurden.
Bekanntlich war in der Architektur in der Zeit des Kaiserreichs die Apside strikt mit dem
Gótter- oder Herrscherkult (Deifizierung) verkniipft, woraus sich ihr Vorkommen in Tempeln,
Kaiserpalasten, óffentlichen Bauten (Basiliken, Thermen) und sogar Privathausern (Hauskulte,
Nymphaa) erklart. Sie bezeichnete den Ort des kultisch verehrten Gótzen oder Herrschers, ja
sogar seines Stellvertreters (Prator). Mit der Zeit wurde sie um die neuen Inhalte der christlichen
Ideologie bereichert und fand schnell Anwendung in der Architektur der Kirchen, unterstrich den
feierlichen Charakter des Bischofssitzes (im traditionellen, heidnischen Empfinden angeblich ein
„Sacrum”) oder symbolisierte bzw. kreierte geradezu den Ort der Offenbarung der Gottheit des
Pantokrators (auch der Heiligen), was ein bedeutsames Echo fand in der malerischen Dekoration
der Hemisphare der Apside. Diese zweite, von Grund auf neue Bedeutung ist nur den grossen
Formen der Apside eigen und blieb ohne Einfluss auf die traditionelle, sakrale, aber inhaltlich
eher heidnische Apsidennische. Darauf verweist ihre gewóhnlich konchoidale Dekoration.
Dieses alte, noch griechische Motiv war, wie es scheint, von Angang an mit der Entstehung
der Nischenform verbunden. Das steht zweifellos im Zusammenhang mit Inhalten eschatologi-
scher Natur, was die zahlreichen erhaltengebliebenen spatrómischen Sarkophage beweisen (111. 7),
wo die Konchę so etwas wie ein iiberirdisches Vehikel bildet, auf dem sich die menschliche Seele
ins Jenseits begibt, oder aber sie fiihrt wie im Fali der Venus Anadyomene, der Góttin der Liebe
und des Lebens, diese auf die Erde.
Es bestehen also starkę Griinde daftir, die Konchę selbst ais ein Symbol der Unsterblichkeit
aufzufassen (J. Białostocki), und ihr ais Nischenverschluss verwendetes Motiv verstarkt gleichsam
den sakralen Ausdruck durch Hinzufiigung des Elements der Transzendenz.
So muss wohl auch das Vorkommen dieses Motives in den die Sarkophage - auch die friih-
christlichen - schmuckenden Arkadenbógen verstanden werden, auf dereń Hintergrund die Ge-
stalten der Heiligen lokaiisiert wurden.
Es ist charakteristisch, dass derartige spatantike Arkadierungen im Mittelalter die Nische in
ihrer Funktion der Betonung der besonderen Bedeutung der Gestalt, ihrer Sakralisierung, erset-
zen (in den sog. „Kónigsgalerien” der gotischen Kathedralen in Frankreich). Formal recht nahe,
wenn auch hinsichtlich der Bedeutung fernliegend durch die Verbindung mit der Sttitze (Saule)
ist die Lokalisierung der Heiligenfiguren auf Konsolen unter einem architektonischen Baldachin,
die relativ oft in den spatgotischen Kirchen anzutreffen ist.
 
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