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I

GENIUS UND HANDWERK
Die Menschheit findet sich in einer Schöpfung und selbst Teil dieser
Schöpfung, mit deren Erscheinungen die Gottheit zu ihren Sinnen und
ihrer Seele spricht. Es ist wenig Unterschied, ob die Gottheit als eine Viel-
heit von Dämonen oder als der Einzige oder gar nur als rätselhafte
schaffende Kraft gedacht wird, dieses Grundgefühl ist zu allen Zeiten das
gleiche geblieben. Und hat dieselbe Folge gehabt. Der Wunsch, diese Er-
scheinungen nachzugestalten, selbst schöpferisch der Schöpfung ihr Wider-
spiel und Gleichnis entgegenzustellen, ist schon in dem Menschen der
Eiszeit lebendig gewesen, wie er es in dem Künstler von heute ist. So ist
neben der wirklichen eine zweite Welt erstanden, die Welt der Kunst.
Neben, nicht über, wie die Hybris, der gottlose Übermut, der den Grie-
chen als die große Sünde galt, wohl gesagt hat. Denn auch im höchsten
Fall ist das Kunstwerk nur Bildung aus den Elementen der Wirklichkeit,
Ordnung ihrer unfaßbaren Fülle, also Formung dessen, was sie gibt. Aus der
Schöpfung spricht die Gottheit, die Menschheit antwortet mit der Kunst.
In der Gegenwart — und diese Gegenwart dauert schon länger als ein
Jahrhundert — ist jede Antwort die eines einzelnen. Wo doch eine Art
von Gemeinsamkeit besteht, wird sie durch das vage Element der Zeit-
stimmung geschaffen, dem man dann auch eine übertriebene Be-
deutung für die Kunst der alten Epochen beilegt. In den schönsten Zeiten
der Kunst bestand eine ganz andere Gemeinsamkeit, nicht nur zwischen
den Schaffenden, sondern auch zwischen ihnen und den anderen Men-
schen. Damals war Kunst nicht die Antwort einzelner, sondern einer
Menschengruppe, einer Bürgerschaft, eines Stammes, eines Volkes, war
Kunst innerhalb dieser Gruppe jedermanns Sache.
Das bedeutet nicht, daß jedermann den gleichen Anteil an ihr hatte.
Aber ihre Werke standen an der Straße oder in öffentlichen Bauten, ob
man sie Curia und Templum oder Rathaus und Kirche nannte, oder wur-
den, im Norden, um weniges auf dem Markt feilgeboten und kamen in die
Häuser, und so war die Kunst für alle da, und jeder konnte sich von ihr
zu eigen machen, was seiner Empfänglichkeit entsprach. Sie gehörte zu

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