II
DIE KUNSTFORM
Aus der These, daß Genius und Handwerk zu der Entstehung eines
Kunstwerks Zusammenwirken, ergibt sich die Folgerung, daß, wer nur
den Inhalt oder wer nur die Form sieht, nicht zum Kunstwerk und, über
das Einzelne hinaus, nicht zur Kunst kommen kann. Der Überästhet,
der es unter seiner Würde findet, Gegenstand und Gefühlshaltung zu
beachten, ist im Grunde dem simplen Laien, der in ihrer Betrachtung
steckenbleibt, nicht überlegen. Ja, es ist sehr fraglich, ob nicht dieser dem
Sinn des künstlerischen Schaffens doch mehr entgegenkommt. Denn
Form, soviel sie dem Künstler bedeutet und bedeuten muß, so sehr sie
seinem Bewußtsein Hauptsache oder gar Alleininteresse werden kann —
Form bleibt letzten Endes doch immer Mittel, die höchste Eindringlich-
keit der Mitteilung zu erreichen. Wer auch im Unterbewußtsein nicht
mehr diese Eindringlichkeit der Mitteilung will, dessen Werk bleibt leer,
und wenn es noch soviel formale Reize hat. Reize, die nicht in das Gefühl,
das ganz einfache menschliche Gefühl dringen, sind nur dekorativer, das
ist niederer Art. Wir haben jetzt eine Periode durchlebt, in der eine ganze
Generation sich dem reinen Formalismus ergeben hat. Jetzt kommt die
Erkenntnis, daß das bei allen großen Worten nicht neue Kunst geschaffen
hat, sondern höchstens die Mittel verbessert.
Ist es nun möglich, den immer realistisch eingestellten Laien für die
Kunstform empfänglich zu machen, ihn empfinden zu lassen, daß Statue,
Bild, Schwarzweißblatt noch etwas ganz andres sind als Darstellung?
Das ist die große Grundfrage, die beantwortet werden muß, wenn das
Ziel gestellt wird, Kunst wieder zu jedermanns Sache zu machen. Hoch-
mut der Ästheten, Minderwertigkeitsgefühl des Laien bezweifeln und
leugnen es. Mancherlei Versuche sind gescheitert. Es soll hier auf eine neue
Weise versucht werden. Nicht durch Einpaukung allgemein ästhetischer
Grundsätze und Redensarten, die vor dem Kunstwerk immer versagen
müssen, nicht durch endlose Reden über ein Werk, die es leicht zu Tode
reden. Es werden eine Anzahl bedeutender Werke kurz besprochen, nicht
um sie zu erschöpfen, sondern nur soweit, um zu zeigen, wie Inhalt und
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DIE KUNSTFORM
Aus der These, daß Genius und Handwerk zu der Entstehung eines
Kunstwerks Zusammenwirken, ergibt sich die Folgerung, daß, wer nur
den Inhalt oder wer nur die Form sieht, nicht zum Kunstwerk und, über
das Einzelne hinaus, nicht zur Kunst kommen kann. Der Überästhet,
der es unter seiner Würde findet, Gegenstand und Gefühlshaltung zu
beachten, ist im Grunde dem simplen Laien, der in ihrer Betrachtung
steckenbleibt, nicht überlegen. Ja, es ist sehr fraglich, ob nicht dieser dem
Sinn des künstlerischen Schaffens doch mehr entgegenkommt. Denn
Form, soviel sie dem Künstler bedeutet und bedeuten muß, so sehr sie
seinem Bewußtsein Hauptsache oder gar Alleininteresse werden kann —
Form bleibt letzten Endes doch immer Mittel, die höchste Eindringlich-
keit der Mitteilung zu erreichen. Wer auch im Unterbewußtsein nicht
mehr diese Eindringlichkeit der Mitteilung will, dessen Werk bleibt leer,
und wenn es noch soviel formale Reize hat. Reize, die nicht in das Gefühl,
das ganz einfache menschliche Gefühl dringen, sind nur dekorativer, das
ist niederer Art. Wir haben jetzt eine Periode durchlebt, in der eine ganze
Generation sich dem reinen Formalismus ergeben hat. Jetzt kommt die
Erkenntnis, daß das bei allen großen Worten nicht neue Kunst geschaffen
hat, sondern höchstens die Mittel verbessert.
Ist es nun möglich, den immer realistisch eingestellten Laien für die
Kunstform empfänglich zu machen, ihn empfinden zu lassen, daß Statue,
Bild, Schwarzweißblatt noch etwas ganz andres sind als Darstellung?
Das ist die große Grundfrage, die beantwortet werden muß, wenn das
Ziel gestellt wird, Kunst wieder zu jedermanns Sache zu machen. Hoch-
mut der Ästheten, Minderwertigkeitsgefühl des Laien bezweifeln und
leugnen es. Mancherlei Versuche sind gescheitert. Es soll hier auf eine neue
Weise versucht werden. Nicht durch Einpaukung allgemein ästhetischer
Grundsätze und Redensarten, die vor dem Kunstwerk immer versagen
müssen, nicht durch endlose Reden über ein Werk, die es leicht zu Tode
reden. Es werden eine Anzahl bedeutender Werke kurz besprochen, nicht
um sie zu erschöpfen, sondern nur soweit, um zu zeigen, wie Inhalt und
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