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Meißen wurde das Porzellan erfunden, das so recht das Material für diese
Zeit war, für ihren Komfort, aber besonders auch für ihre Plastik.
Porzellan Muß man beweisen, daß die Plastik des Rokoko nur Kleinplastik sein,
und daß von allen Materialien nur dieses diese puppigen Menschen mit
ihren ballettgraziösen Bewegungen und ihrer mattfarbigen Tracht aus-
drücken konnte? Man kann ruhig sagen: die Meißener (und dann auch
die anderen) Porzellanfiguren sind durchaus und in jedem Betracht die
Plastik, die die Bildchen Watteaus und Bouchers ergänzt, und man müßte
alles wiederholen, was von der Art und den Bedürfnissen dieser Gesell-
schaft gesagt worden ist, wenn man ausführlicher über sie sprechen
wollte. Nur daß diese Figuren das Greisenhafte, Zerbrechliche, Preziöse
der Menschen noch deutlicher fühlen lassen, als das ein Bild vermag; die Sub-
stanz des Materials scheint auf eine geheimnisvolle Weise mitzusprechen.
Eine griechische Terrakotta, eine Kleinbronze der Renaissance, eine
Meißener Porzellanfigur! Man könnte aus ihnen die ganzen Epochen er-
kennen und beinahe die ganze Kunstentwicklung.
Die große Plastik ist nicht erwähnenswert. Und in der Malerei, die
sich entweder in der Nachahmung der Franzosen oder in einem sehr
bescheidenen Elektrizismus bewegt, sind nur zwei bedeutendere Erschei-
nungen zu nennen: der Porträtist Anton Graff in Dresden und der
Kupferstecher Chodowiecki in Berlin.
In Deutschland gab es nicht wie in England eine Gentry, einen kom-
solidierten Stand, der den Ton angab, aber das intelligente Bürgertum
fing auch hier an, sich als neuer Träger für Kultur und Kunst immer
mehr herauszustellen. Auch dieses Bürgertum folgt der Mode des Rokoko,
aber mehr äußerlich, und im Innern regen sich kluge Menschlichkeit,
freiheitliche und natürliche Gesinnung, scharfäugiger Wirklichkeitsblick.
Malerei Das ist die Schicht, für die Graff und Chodowiecki schaffen, der eine
seine vertieften und schönen Bildnisse, Menschenschilderungen von
hohem Reiz, in den wichtigsten Eigenschaften den englischen eher über-
legen, der andere seine kleinen Stiche und Radierungen, Szenen aus dem
Leben, Illustrationen zu literarischen und dramatischen Werken, Mode-
bilder, alles empfindungsvoll und, wo nicht Pathos verlangt wird, auch
lebendig und anmutig.

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