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J. A. Stargardt <Berlin> [Hrsg.]
Katalog / J. A. Stargardt (Nr. 298): Autographen aus allen Gebieten, darunter über 200 unveröffentlichte Briefe und Gedichte Theodor Fontanes aus dem Besitz Bernhard von Lepels: Versteigerung Sonnabend, den 7. Dezember 1929 ... — Berlin, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.24740#0011
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J. A. STAR GARDT/BERLIN W 35

Lebensauffassung erleichterten, dem Fontane’schen Sturm und Drang
in der Politik, seinen oft masslos heftigen Ausfällen auf die Mitglieder
des „Tunnel“ u. a. mit stets gleichbleibender heiterer Wärme, und
den wilden, sprunghaften Plänen (Auswanderung nach Amerika usw.)
mit schonender Zurückweisung zur Vernunft zu begegnen.

Es erforderte schon ein grosses Mass von Takt und Freundschaft,
um gegenüber dem im Revolutionsjahr 1848 völlig ausser sich geratenen
Fontane die Ruhe zu bewahren. Verlangte dieser doch von Lepel,
dem aktiven preussischen Offizier, ein Gewehr, um am Barrikaden-
kampf teilnehmen zu können („Schande jedem, der zwei Fäuste hat,
mit Hand ans Werk zu legen und sie pomadig in die Hosentasche
steckt!“). In endlosen doctrinären Ausführungen und ganzen histo-
rischen Aufsätzen sucht dann Fontane dem Freund seine Ideen von
Umsturz und Republik aufzuzwingen, um, wenige Jahre später, seine
„immer wachsende Liebe zu Preussen und den Hohenzollern“ einzu-
gestehen.

Dasselbe Schwanken zwischen den Extremen spiegelt sich auch
in den anderen Briefen wieder; es wechselt die Verzweiflung und
Selbstaufgabe, ja der Entschluss, auf künstlerisches Schaffen zu
Gunsten des Broterwerbs ganz zu verzichten, mit dem vollen Bewusst-
sein des eigenen dichterischen Könnens, es wechselt die edelste Sprache
mit dem lasciven Witz, die schwärzeste Hypochondrie mit der Selbst-
verhöhnung.

Von besonderem Interesse für Fontanes Persönlichkeit ist auch
die Stellung, die er zu seiner Familie, insbesondere zu seinem Vater,
in den Briefen einnimmt. Die Stellen, an denen er von ihm spricht,
sind nicht eigentlich lieblos, aber doch ohne jede Wärme, objektiv
und ironisch kritisierend, (vgl. auch den eigenartigen Kondolenzbrief
Lepels zum Tode von Fontanes Vater vom 11. X. 1867). Ähnlich kalt
wirken die Erwähnungen seiner Frau, besonders im Gegensatz zu der
Sehnsucht nach der Ehe, wie sie in den Briefen aus der fünfjährigen
Brautzeit zum Ausdruck kommt („Ich komme erst wieder zu mir,
wenn ich verheirathet bin“ usw.).

Soviel über den Menschen Fontane in diesen Briefen. Auch
der Dichter hat wohl keinen verständnisvolleren Pylades gefunden,
als den ihm künstlerisch unterlegenen, aber, was Form und Inhalt
angeht, fein empfindenden und zur Kritik berechtigten Lepel, dessen
Anteil an Fontanes Dichtungen in Form logischer und stilistischer
Verbesserung nicht zu unterschätzen ist. Der Ton der beiderseitigen
Kritiken ist unpersönlich und sachlich, oft, wenigstens seitens Fon-
tanes, scharf und verletzend, so wenn er dem Freund die Begabung
zum Dramatiker infolge Fehlens jeglicher Fähigkeit, richtig zu beob-
achten und zu erkennen, abspricht. Dass die Freundschaft auch
hierüber nicht in die Brüche ging, ist wieder ein Beweis von Lepels
edler Menschlichkeit und Charaktergrösse.

Der Dichter Lepel ist heute vergessen, die Entstehungsgeschichte
seiner Arbeiten, wie sie sich in den Briefen zeigt, bleibe daher hier
unberücksichtigt. Die dramatischen Versuche Fontanes („Karl Stuart“
und „Hansentrotz“, sowie das Epos „Barbarossa“), die in die Zeit
des eigentlichen stetigen Briefwechsels, also bis zum Jahre 1859,
fallen, sind, bis auf kleinere Fragmente des „Karl Stuart“ un-
vollendet und unbekannt geblieben, — trotz aller Liebe des
Dichters zu seinen Schöpfungen, trotz gewissenhaften Quellen-
studiums, trotz aller mit zwingender Logik dargelegten dramatischen

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