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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Editor]; Lewald, Theodor [Honoree]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0042
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I5J3, aus Lissabon an Michelangelo richtete, läßt sich ohne weiteres - zwischen
den Zeilen lesend - feststellen, daß die „Freundschaft“ Michelangelos, deren der
Portugiese sich rühmt, kaum mehr gewesen ist, als eine oberflächliche Bekannt-
schaft1. Und wenn er-nach einer Trennung von mehr als 15 Jahren! - „als einen
Beweis der Gesundheit Michelangelos und als ein Gedenkzeichen dieser Freund-
schaft“, um eine Handzeichnung bittet, so werden wir unwillkürlich an Aretino
erinnert und sind geneigt anzunehmen, daß Michelangelo die eine Bitte ebenso
stillschweigend beiseite gelegt hat, wie die andere.
Nach den jüngsten scharfsinnigen Analysen der Gespräche von San Silvestro ist
aus ihnen für die Lebens- und Kunstanschauungen Michelangelos kaum noch
etwas zu gewinnen2. So geschickt die äußeren Umstände geschildert sind, so
plastisch in ihnen auch die Hauptpersonen gezeichnet werden, der Kern dieser
Gespräche ist äußerlich unwahrscheinlich und innerlich unwahr. Aber sie würden
nicht immer wieder als zuverlässige Quellen benutzt worden sein, böten sie nicht
im Gestrüpp der Erfindung auch einige Züge dar, die so echt erscheinen, daß
wir sie uns ohne weiteres zu eigen machen möchten. Wie sicher ist Vittoria
Colonna als vornehme Frau gezeichnet! Dasselbe, was Claudio Tolomei von
ihr schrieb, daß alles geheiligt würde, was diese einzige Frau mit ihrer Person oder
mit ihrem Namen berühre, ganz das Gleiche weiß auch Francisco de Hollanda
von ihr zu sagen. Und wenn Vittoria Colonna im Laufe der Unterhaltung an
Michelangelo die Worte richtet, daß die, welche ihn kennen, seine Person noch
höher schätzen müssen, als seine Werke, so ist man nur allzu willig, anzunehmen,
daß die Marchesa diese schönen Worte wirklich gesprochen habe. Und wie fein
und überzeugend ist die Kunst, fast möchte man sagen, die weibliche Verschlagen-
heit geschildert, mit der es der Marchesa endlich gelingt, den Freund dorthin
zu führen, wohin sie will, ihm die Zunge zu lösen und ihn reden zu machen über
das Thema, das er wie kein anderer Sterblicher beherrscht, über die Malerei!
Aber das, was Michelangelo jetzt als Orakel zu verkünden scheint, ist nichts
anderes, als eine Zusammenstellung von Lesefrüchten Hollandas, die nicht ohne
Tendenz aus allen möglichen Quellen mit mehr oder weniger Geschick zu-
sammengestellt worden sind. Ja, wenn Michelangelo die Malerei „als Ursprung
und Quelle bezeichnet, von der die Bildhauerkunst herzuleiten sei“, so bringt
ihn Hollanda hier direkt in Gegensatz zu allen Äußerungen, die er skeptisch und
widerwillig in jenem höchst überflüssigen, aber von den Literaten seiner Zeit
aufs eifrigste betriebenen Disput getan hat: welcher der Vorrang gebühre von
1 Gotti, Vita di Michelangelo I, p. 245. Deutsch bei Vasconcellos p. CLV.
2 Ausschlaggebend für die kritische Beurteilung dieser Gespräche ist die ausgezeichnete Arbeit von Hans
Tietze, Francisco de Hollanda u. Donato Giannottis Dialoge und Michelangelo im Repertorium für Kunst-
wissenschaft XXVIII (1905), p. 295/320, und die vernichtende Analyse dieser Gespräche durch Carlo Aru, I dia-
loghi romani di Francisco de Hollanda in l’Arte XXXI (1928), p. 117/128.

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