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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Hrsg.]; Lewald, Theodor [Gefeierte Pers.]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0057
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Michelangelo stand lange sinnend, das furchtbare Gestirn zu betrachten, dann
ging er zurück in sein Haus, Papier und Feder und Farbe zu holen, um es im
Bilde festzuhalten. Kaum hatte er aber seine Zeichnung vollendet, so ent-
schwand das Gesicht.
„Oh,“ rief Serpe aus, „wie sehr wünschte ich die Zeichnung zu sehn, die er
gemacht hat!“
„Geh doch und besuche den Bildhauer in Florenz,“ lautete die Antwort, er
wird dir, gütig wie er ist, die Zeichnung vorlegen und dir mit schlichten Worten
die Begebenheit erzählen, und du wirst erkennen, daß ich dir nicht die Unwahr-
heit gesagt habe.“
Zum Schluß erörterten die Freunde den Sinn der Vision und stellten fest, daß
sie die Heimsuchungen anzeigen solle, die Savonarola für ganz Italien geweis-
sagt hatte: „Ecce inducam afflictionem super locum istum“, hatte der Prophet in
Florenz gepredigt. Und wenn wir bedenken, wie unheilvoll sich die Konflikte
zwischen Kaiser, König und Papst in den nächsten zwei Jahrzehnten auch im
Leben Michelangelos auswirken sollten, dann muß uns dieser Komet über
seinem Garten in Rom in der Tat wie ein furchtbares Menetekel erscheinen,
wenn wir auch heute nicht mehr feststellen können, auf welchen tatsächlichen
Grundlagen diese Erzählung beruht.
KAPITEL IV
BENEDETTO VARCHI • ASCANIO CONDIVI
UND GIORGIO VASARI • DIE WIDMUNGEN DES MICHELE
TRAMEZINO UND DES PIERFRANCESCO GIAMBULLARI •
BENVENUTO CELLINI.
Nicht als Maler, Bildhauer oder Architekt, der seinesgleichen in der Welt nicht
hatte, ist Michelangelo in die Weltliteratur eingeführt worden, sondern als
Dichter wurde er zuerst in seiner Vaterstadt Florenz von Benedetto Varchi in
einer Vorlesung in der Florentiner Akademie am Sonntag Reminiscere am 6. März
1547 gefeiert1. Das Thema für diese Vorlesung gab das Sonett Michelangelos:
Non ha l’ottimo artista alcun concetto
Ch’un marmo solo in se non circonscriva.
Acht Tage später, am dritten Fastensonntag, hielt Varchi eine zweite Vorlesung,
in der die schon von Leon Battista Alberti kürzer und im Cortigiano Castigliones
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1 Karl Frey, Dichtungen, p. 372. Vasari, ed. Milanesi VII, p. 274.
 
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