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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Editor]; Lewald, Theodor [Honoree]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0056
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Nichts sehn, nichts hören ist mein ganz Begehren;
Drum wecke mich nicht auf, oh, rede leise 1
Es darf nicht verschwiegen werden, daß der Nacht durch diese Verse vor der
unendlich viel beseelteren Aurora eine nicht ganz verdiente Berühmtheit zuteil
geworden ist. A. F. Doni, ein echter Florentiner „mit dem guten Auge und der
bösen Zunge“, hat vollständig recht gehabt, wenn er in seinen „Marmi“ der
Aurora den Preis vor allen Skulpturen der Medici-Kapelle zuerkannte1.
Während Michelangelo mit den Worten „Mentre ehe il danno e la vergogna
dura“ seinem trauernden Patriotismus als Florentiner einen ziemlich starken Aus-
druck gab, erscheint er uns gemäßigter in seinem anderen Dialog in Versen, der
gleichfalls eine besondere Berühmtheit genoß2. Hier erheben seine verbannten
Landsleute bewegliche Klage, daß ihre Vaterstadt Florenz, die doch für so viele
geschaffen war, nun in der Gewalt eines einzigen sich befinde. Michelangelo
läßt hier Florenz als Trösterin der Verbannten auftreten und legt ihr die Antwort
in den Mund, daß der, der sie beraubt, in beständiger Furcht, das Geraubte
zu verlieren, niemals seines Besitzes ganz froh werden könne.
Von einem Dialog des Literaten Niccolo Franco mit Michelangelo auf dem Bau-
platz der Peterskirche weiß eine spätere Quelle zu berichten. Michelangelo
machte unerkannt dem Fremdling selbst den Führer und zeigte sich bei dieser
Gelegenheit ebenso gütig und menschenfreundlich, wie bei anderen Gelegen-
heiten, wenn es galt, die uneingeschränkte Bewunderung für seine Kunst leise
und unvermerkt in ein tieferes Begreifen und reineres Verstehen hinüberzu-
leiten3.
Besonders merkwürdig, weil ein Zeugnis dafür, daß man im Volksmunde ge-
neigt war, nicht nur den Marmorbildern Michelangelos, sondern auch ihrem
Schöpfer übernatürliche Kräfte zuzuschreiben, ist der Dialog zwischen zwei
Anhängern Savonarolas, Agricola und Serpe, die sich über eine Vision unter-
halten, die Michelangelo in seinem Hause am Macell de’ Corvi gehabt haben
soll, als er sich in einer Sommernacht 1513 in seinem Garten erging4. Er sah
am Himmel einen ungeheuren Kometen mit drei Schweifen, von denen der eine
in Form eines silberglänzenden Schwertes nach dem Orient gerichtet war, der
zweite von blutroter Farbe über Rom stand, und der dritte feuerfarbene sich in
mächtigem Bogen bis nach Florenz erhob.
11 Marmi, ed. Fanfani, Parte III, p. 22. Ferner ed. Chiörboli II, p. 20/21.
2 K. Frey (Dichtungen, p. 155 und 432) setzt die Entstehungszeit dieses Madrigals in die Jahre 1545/46, also etwa
gleichzeitig mit den Giannotti-Dialogen.
3 Achille Monti, Un dialogo fra Niccolo Franco eil Buonarroti, in II Buonarroti I (Roma 1866), p. 90/92. In
der Libraria del Doni (Vinegia MDL Fol. 37 v.) werden unter den Schriften des Niccolo Franco auch „Dialoghi
dieci“ aufgeführt. Es ist mir aber nicht gelungen, sie aufzufinden.
4 Achille Monti, Una visione del Buonarroti, in II Buonarroti I (Roma 1866), p. 102/06.

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