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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Editor]; Lewald, Theodor [Honoree]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0068
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KAPITEL V

DAS JÜNGSTE GERICHT • DIE LETZTEN JAHRE •
TOD IN ROM • APOTHEOSE IN FLORENZ
Nach den bitteren Erfahrungen von mehr als 25 Jahren, in denen die Fassade
von San Lorenzo nicht über das Modell hinauskam, in denen die Medici-Grab-
mäler als Torso in Florenz zurückgeblieben waren, in denen das ewig unvollen-
dete Denkmal Julius II., eine Drohung und ein Vorwurf zugleich, beständig vor
seiner Seele stand, muß es auch für Michelangelo ein beglückender Augenblick
gewesen sein, als endlich am Tag vor Allerheiligen, am 31. Oktober 1541, das
Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle enthüllt werden konnte.
Mehr aber noch, als für ihn selbst, der eigentlich keine Fähigkeit besaß, sich an
seinen eigenen Werken zu freuen, bedeutete dies Ereignis für seine Zeitgenos-
sen1. „Zum Erstaunen und zur Bewunderung von ganz Rom, ja, der ganzen
Welt, wurde dies Fresko enthüllt“, schrieb Vasari. „O heilige Roma,“ rief Gan-
dolfo Porrino aus, „niemals hat dich Cäsar oder einer der erlauchten Impera-
toren eines ähnlichen Triumphes froh werden lassen.“ „Wer es nicht gesehen
hat, vermag es sich nicht vorzustellen“, schrieb der Anonimo Fiorentino des
berühmten Kodex XVII, 17. „Herrliche Malerei!“ rief der nüchterne Fulvio
Orsini aus, „der Antike vergleichbar, wie unsere Zeitrechnung bis dahin noch
nichts Ähnliches geschaut hat.“ Alle Dichter Italiens setzten ihre Federn in Be-
wegung, der hochwürdige Beccadelli, Bischof von Ravello, Erzbischof von Ra-
gusa, Geistlicher, Gelehrter und Dichter zugleich und Michelangelos besonderer
Freund2, Niccolo Martelli, Mitbegründer der Florentiner Akademie und ihr
Konsul im Jahre 15443, Agnolo Bronzino, der Maler und Dichter4, Varchi, der
Historiker, und unzählige andere verherrlichten in mehr oder weniger gelunge-
nen Versen das Jüngste Gericht. Von Michelangelos näheren literarischen Freun-
1 Diese Zeugnisse sind zusammengestellt bei E. Steinmann, Sixtinische Kapelle, München 1905, Band II, p. 5 r 3 ff.
2 Adolfo Vital, Tre lettere inedite di Lodovico Beccadelli a Michelangelo Buonarroti ed alcune notizie intorno
ai carteggi Beccadelli della Palatina di Parma. Conegliano 1901. Zwei dieser Briefe wurden bereits vorher von
Frey gedruckt, vgl. Dichtungen, p. 275/78, und Colasanti, Gli artisti nella poesia del Rinascimento in Repert. f.
Kw.XXVII (1904), p. 210, undNuova Antologiavom16.HI. 1903, p. 28 5. Das Porträt Beccadellis von Tizian wirdin
den Uffizien bewahrt (Vasari VII, p. 481), ein anderes Porträt befand sich in der Sammlung Cavalieri in Ferrara. (Auk-
tionskatalog Hugo Helbing, München 1914, p. 66, Nr. 1027, Tfl. 39.) Das Leben Beccadellis schrieb sein
Sekretär Antonio Giganti da Fossombrone (Frey, Dichtungen, p. 500). Michelangelo widmete Beccadelli eines
seiner tiefstempfundenen religiösen Sonette: „Le favole del mondo m’anno tolto il tempo dato a contemplare
Iddio“ (Frey, Dichtungen, p. 238 und 489, und Guasti, Rime LXIV.)
3 Die Beziehungen auf Michelangelo in den Briefen Martellis sind bei Steinmann-Wittkower zusammengestellt
(p. 240/41). Briefe und Sonette an Michelangelo bei Ticciati, Notizie letterarie, p. 97/98. Brief Michelangelos an
Martelli bei Milanesi, Lettere, p. 473. Vgl. Frey, Dichtungen, p. 498.
1 A. Furno, La vita e le rime di Angiolo Bronzino, Pistoia 1902, p. 17 ff. Pini, la scritturadi artisti Italiani, Tav. 184.
Frey, Briefe an Michelangelo, p. 382/4. Vgl. außerdem Steinmann-Wittkower, p. 53.
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