Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kriegstagung für Denkmalpflege [Editor]
Stenographischer Bericht — Berlin, 1915

DOI issue:
Sonntag, den 29. August
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.29910#0096
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
90

Als eine weitere Maßnahme zur Erzielung einer einwandfreien Wieder-
bebauung wird sich an vielen Orten eine ziemlich weitgehende Umlegung
des Grundbesitzes notwendig erweisen. Der Einblick in die zerstörten
Gebiete, namentlich im Innern der alten Städte, läßt die ungünstige Par-
zellierung und Zerstückelung der Baugrundstücke klar erkennen. In vielen
Fällen, namentlich auch da, wo notwendige Straßenerweiterungen das
Bauland noch beschneiden müssen, werden die Grundstücke bei Wahrung
moderner hygienischer Grundsätze überhaupt nicht mehr bebauungsfähig
bleiben. Da Belgien ein Umlegungsgesetz nicht besitzt, werden die Ge-
meinden zu umfangreichen Enteignungen und Neuparzellierungen schreiten
müssen, wozu ihnen das belgische Zonenenteignungsgesetz eine ausgezeichnete
Handhabe bietet. Die Bürgermeister werden von der deutschen Verwaltung
bereits dazu angehalten, diese schwierige und kostspielige Aufgabe unver-
züglich einzuleiten, ihre Lösung dürfte aber an manchen Orten geraume
Zeit erfordern, zumal ja der Krieg auch unter der belgischen Zivilbevölkerung
manche Opfer gefordert hat und so die Besitzverhältnisse hier und da
nicht mehr ganz klar sein werden.

Kann bei dieser vorbereitenden Arbeit die Mitwirkung der deutschen
Verwaltung nur eine beratende und treibende sein, so werden wir bei den
rein städtebaulichen Maßnahmen, also namentlich bei dem Entwurf der
Fluchtlinien- und Bebauungspläne, voraussichtlich selbst erheblich mit-
arbeiten müssen. Da die Zerstörungen hauptsächlich die Dörfer an den großen
Heerstraßen, die ja auch zugleich die Hauptautomobilstraßen sind, sowie
das enge Straßengewirr der Stadtkerne getroffen haben, ist die Gelegenheit
geboten, mancherlei im Verkehrsinteresse notwendige, vielfach längst ge-
wünschte und geplante Abänderungen der Straßenfluchtlinien oder, wie
in Löwen und Dinant, die Umgestaltung ganzer Stadtgebiete zur Durch-
führung zu bringen. Die vorbereitenden Arbeiten hierzu wie auch die erste
Aufstellung der Pläne muß selbstverständlich Sache der Gemeinden bleiben.
Es ist nun die Befürchtung nicht unberechtigt, daß diese Pläne nicht den
Anforderungen entsprechen werden, die wir Deutsche heutzutage an städte-
bauliche Leistungen stellen. Schon ein Blick in die Neustadtgebiete der
alten, an entzückenden Städtebildern so reichen Städte Belgiens oder die
Einsichtnahme in deren noch heute gültigen Stadterweiterungspläne zeigt,
daß die Lehren und Grundsätze neuzeitlicher Stadtbaukunst in Belgien
noch keinen Eingang gefunden haben. Es sind reine Geometerpläne, ohne
jedes architektonisch-plastische Empfinden, nüchternste schematische Lineal-
arbeit. Für den in der Umgebung des Rathauses zerstörten Stadtteil von
Löwen hat allerdings eine Reihe von namhaften belgischen Architekten,
unter ihnen auch der verdienstvolle derzeitige Stadtbaumeister von Löwen,
Herr Vingeroedt, schon eine ganze Anzahl von Plänen aufgestellt, in denen
das schwierige Problem der Neugestaltung dieses Viertels mehr aus archi-
tektonischen Gesichtspunkten angefaßt ist; aber auch diese zeigen, daß
der künstlerische Geist des Städtebaues, dem wir in Deutschland in den
letzten Jahren so manch schönes Werk zu danken haben, hier noch fremd ist.
Es zeigt sich dies auch erstaunlicherweise in den Grundsätzen, die der
Präsident der „Commission royale des Monuments et des sites“, der höchsten
beratenden Instanz in baukünstlerischen Fragen in Belgien, Herr Lagasse
de Locht, in Gemeinschaft mit dem Architekten Paul Saintenoy in einem
 
Annotationen