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Kriegstagung für Denkmalpflege [Editor]
Stenographischer Bericht — Berlin, 1915

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Sonntag, den 29. August
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https://doi.org/10.11588/diglit.29910#0097
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Gutachten über den Wiederaufbau der zerstörten Städte und Dörfer nieder-
gelegt bat. Ich werde darüber nachher noch eingehender zu sprechen
haben und greife jetzt nur heraus, daß Herr Lagasse, gestützt auf den von
Charles Buls in seiner „Esthetique des Villes“ aufgestellten Grundsatz,
verlangt, die gerade Straße möge aus den Stadtbehauungsplänen grundsätz-
lich ausgeschaltet werden. Das mag zufällig für die hier vorliegenden
Aufgaben vielleicht richtig sein, denn es wird sich — soweit ich die zer-
störten Orte bis jetzt kenne — wohl nirgends in ihnen die Anlage einer
vollkommen geraden Straße als notwendig erweisen. Aber schon die Auf-
stellung einer solchen Begel zeigt, wie fremd selbst die maßgeblichsten
Kreise noch dem Kern und Wesen der Sache gegenüberstehen. Ich muß
gestehen, mir ist der Streit, ja jede Diskussion über die Frage der geraden
oder krummen Straßen immer unverständlich gewesen. Es gibt doch nur
eine Regel für den Städtebau, die lautet: Alles, was gemacht wird, muß
vernünftig und anständig gemacht werden! Vernünftig insofern, als man
die Straßen so anlegen muß, daß sie dem Verkehr, für den sie bestimmt
sind, auch tatsächlich gerecht werden und daß die zwischen ihnen ver-
bleibenden Baublöcke auch wirklich behauungsfähig werden, d. h. die Ent-
wicklung einwandfreier Hausgrundrisse gestatten, was ja bei der noch immer
hier und da auftauchenden „Diagonalitis“, der schlimmsten Städtebau-
krankheit, die es je gegeben, nicht möglich ist. — Unter „anständig“ ver-
stehe ich, daß Straßenführung und Platzanlagen so gestaltet werden, daß
dem auf ihrer Grundlage bauenden Architekten die Möglichkeit zur Schaffung
schöner Städtebilder gegeben ist. Daß beide Bedingungen sich sowohl
mit geraden wie mit krummen Straßen erfüllen lassen — darüber ein Wort
zu verlieren, ist zwecklos. Gibt es doch allenthalben Beispiele genug aus alter
und neuer Zeit, die es dem sehenden Auge offenbaren. — Für den Entwurf
zu den Bebauungsplänen für den Wiederaufbau der in diesem Lande zer-
störten Städte und Dörfer kann es meines Erachtens nur die — übrigens
auch von Herrn Lagasse de Locht aufgestellte — Richtlinie geben, den
Charakter des Ortes nach Möglichkeit zu wahren und die Planung im übrigen
unter Beachtung der ebengenannten Gesichtspunkte den heutigen An-
forderungen an Verkehr, Volksgesundheitspflege und Wirtschaftlichkeit an-
zupassen. Die von der Zerstörung verschont gebliebenen Bauten von
künstlerischem oder geschichtlichem Wert müssen selbstverständlich erhalten
bleiben und dem neuen Stadtbild so eingefügt werden, daß sie ihrer Be-
deutung entsprechend zur Wirkung kommen. Daß es in dieser Hinsicht
manche nicht ganz leichte städtebauliche Aufgabe zu lösen geben wird,
wie die Gestaltung der Umgebung von St. Pierre in Löwen, diejenige des
Platzes Ba.ille de Fer in Hecheln, der Bebauungsplan für Dinant, die not-
wendigen Änderungen der Straßeneinführungen in die Place d’Armes in
Namur und manche andere mehr, das liegt auf der Hand.

Da wir, wie gesagt, berechtigten Grund zu der Annahme haben, daß
die belgischen Kräfte nicht immer die volle Gewähr für eine in jeder Hin-
sicht befriedigende Lösung dieser Aufgaben bieten, die deutsche Verwaltung
aber ein lebhaftes Interesse daran hat, daß alles, was unter ihrem Regiment
entsteht, so gut wie irgend möglich werde, weil es ja der scharfen Kritik
der ganzen Welt ausgesetzt ist, so werden wir voraussichtlich des öfteren
genötigt sein, ändernd einzugreifen. Eine rechtliche Handhabe dazu ist
 
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