ÜBER DIE
SCHÖNHEIT IN DER BAUKUNST.
Wenn wir ein Gebäude erblicken, so fragen wir nicht sogleich nach seiner mechanischen
Festigkeit, nicht nach der Bequemlichkeit seiner innern Einrichtung, unser Auge ist vielmehr
beschäftigt, zu untersuchen, ob das Gebäude auf Schönheit Anspruch machen kann, ob
seine Theile wohl geordnet, ob ihre Größen nach guten Verhältnissen angegeben, und ob
die Zierathen weder überhäuft noch unschicklich angebracht sind. Nur das Äufsere eines
Gebäudes kann bei dem ersten Anblicke einen Eindruck hervorbringen, nur als Werk der
Kunst kann bei dem ersten Anblicke ein Gebäude uns interessiren; die Sinne und die Ein-
bildungskraft werden durch die Gestalt des Ganzen, durch den Charakter, durch die male-
rische Behandlung desselben, durch die Formen der einzelnen Theile gefesselt; jene Festigkeit
aber, jene Bequemlichkeit setzen wir voraus, als wesentliche Stücke, ohne welche ein Gebäude
weder einigen Nutzen gewähren, noch auf Vollkommenheit Anspruch machen kann. Der
Architekt mufs sich daher bemühen, seine Gebäude zu Werken der Kunst zu machen, er
mufs Geschmack und Kenntnifs des Schönen besitzen, um ihnen ein schönes .und ihrem
Charakter angemessenes Anselm geben zu können. Seine Gebäude werden zwar ihrer Absicht
entsprechen, wenn sie fest, bequem und zweckmäfsig eingerichtet sind, allein sie werden nie
eine angenehme Wirkung hervorbringen, wenn sie keine schönen Formen haben, welche das
Auge vergnügen und die Einbildungskraft beschäftigen.
Da nun die Baukunst solcher Wirkungen fähig ist, da ihre Werke nur durch schöne
Formen gefallen und dadurch zu Werken der Kunst erhoben werden können, so liek man
sich verführen, diese Kunst den schönen Künsten beizuzählen, und ihr einen Platz anzuweisen,
den sie lange Zeit fälschlich eingenommen hat. Man hatte nur ihre Wirkung vor den Augen,
die Empfindungen, die sie zu erwecken und zu nähren fähig ist, das gefällige Ansehn ihrer
schönen Werke, aber man bedachte ihren eigentümlichen Zweck nicht, man vergafs, dafs
das Wesen jeder Kunst nur nach diesem Zwecke beurtheilt werden mufs, um einer jeden
ihre richtige Stelle anzuweisen.
Betrachten wir nun die schöne Kunst, so finden wir, lafs sie nur unmittelbare Wohl-
gefälligkeit der Form, unmittelbar Vergnügendes beabsichtigt, und dafs dieses daher auch
der höchste und erste Bestimmungs - Grund ihrer Form ist. *) Allein der erste und eigen-
tümliche Zweck der Baukunst ist nicht diese Wohlgefälligkcit der Form, er ist vielmehr
Befriedigung eines Bedürfnisses, indem diese Kunst zur Absicht hat, dem Menschen eine
sichere und bequeme Wohnung und einen Schutz für alle Dinge, die ihm angehören, zu
*) Heydenreich Ori#inalideen etc. Th. I. S. ?.o/f.
SCHÖNHEIT IN DER BAUKUNST.
Wenn wir ein Gebäude erblicken, so fragen wir nicht sogleich nach seiner mechanischen
Festigkeit, nicht nach der Bequemlichkeit seiner innern Einrichtung, unser Auge ist vielmehr
beschäftigt, zu untersuchen, ob das Gebäude auf Schönheit Anspruch machen kann, ob
seine Theile wohl geordnet, ob ihre Größen nach guten Verhältnissen angegeben, und ob
die Zierathen weder überhäuft noch unschicklich angebracht sind. Nur das Äufsere eines
Gebäudes kann bei dem ersten Anblicke einen Eindruck hervorbringen, nur als Werk der
Kunst kann bei dem ersten Anblicke ein Gebäude uns interessiren; die Sinne und die Ein-
bildungskraft werden durch die Gestalt des Ganzen, durch den Charakter, durch die male-
rische Behandlung desselben, durch die Formen der einzelnen Theile gefesselt; jene Festigkeit
aber, jene Bequemlichkeit setzen wir voraus, als wesentliche Stücke, ohne welche ein Gebäude
weder einigen Nutzen gewähren, noch auf Vollkommenheit Anspruch machen kann. Der
Architekt mufs sich daher bemühen, seine Gebäude zu Werken der Kunst zu machen, er
mufs Geschmack und Kenntnifs des Schönen besitzen, um ihnen ein schönes .und ihrem
Charakter angemessenes Anselm geben zu können. Seine Gebäude werden zwar ihrer Absicht
entsprechen, wenn sie fest, bequem und zweckmäfsig eingerichtet sind, allein sie werden nie
eine angenehme Wirkung hervorbringen, wenn sie keine schönen Formen haben, welche das
Auge vergnügen und die Einbildungskraft beschäftigen.
Da nun die Baukunst solcher Wirkungen fähig ist, da ihre Werke nur durch schöne
Formen gefallen und dadurch zu Werken der Kunst erhoben werden können, so liek man
sich verführen, diese Kunst den schönen Künsten beizuzählen, und ihr einen Platz anzuweisen,
den sie lange Zeit fälschlich eingenommen hat. Man hatte nur ihre Wirkung vor den Augen,
die Empfindungen, die sie zu erwecken und zu nähren fähig ist, das gefällige Ansehn ihrer
schönen Werke, aber man bedachte ihren eigentümlichen Zweck nicht, man vergafs, dafs
das Wesen jeder Kunst nur nach diesem Zwecke beurtheilt werden mufs, um einer jeden
ihre richtige Stelle anzuweisen.
Betrachten wir nun die schöne Kunst, so finden wir, lafs sie nur unmittelbare Wohl-
gefälligkeit der Form, unmittelbar Vergnügendes beabsichtigt, und dafs dieses daher auch
der höchste und erste Bestimmungs - Grund ihrer Form ist. *) Allein der erste und eigen-
tümliche Zweck der Baukunst ist nicht diese Wohlgefälligkcit der Form, er ist vielmehr
Befriedigung eines Bedürfnisses, indem diese Kunst zur Absicht hat, dem Menschen eine
sichere und bequeme Wohnung und einen Schutz für alle Dinge, die ihm angehören, zu
*) Heydenreich Ori#inalideen etc. Th. I. S. ?.o/f.