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Stölzel, Adolf
Die Entwicklung des gelehrten Richterthums in deutschen Territorien: eine rechtsgeschichtliche Untersuchung mit vorzugsweiser Berücksichtigung der Verhältnisse im Gebiete des ehemaligen Kurfürstenthums Hessen (Band 1) — 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.10463#0622

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606 ScMussbetrachtung.

einen Theil der Schöffen, anfangs als thätige Mitrichter,
später als stumme Beisitzer bei der Rechtsprechung mit-
wirken lassen oder wenn die Beamten äusserlich nicht neben
dem Gerichte Stellung nehmen, sondern unter der Maske
von Schöffen in das Gericht selbst eindringen, wie z. B.
bei solchen Stadtgerichten, deren Vorstand ein vom Landes-
herrn bestellter Bürgermeister und deren Beisitzer einige
gleichfalls vom Landesherrn bestellte gelehrte Scabinen sind;
denn hier tragen die Richter nur den Namen von Schöffen,
in Wirklichkeit sind sie gerichtsherrliche Beamte.

Als das fremde. Recht in der deutschen Praxis Wurzel
zu fassen begann, da lagen die Gegensätze zwischen Beamten
und Gericht Jedem so deutlich vor Augen, dass eine Ver-
wechselung beider unbegreiflich erschien. Aber auch heut-
zutage haben wir, wenngleich als vereinzeltes Beispiel, an
den äussersten deutschen Grenzen das Bild eines Gerichts-
wesens vor uns, welches in wahrhaft plastischer Weise jene
für den grössten Theil Deutschlands um Jahrhunderte zurück-
liegende Zeit uns wieder vorzuführen im Stande ist. Wir
meinen die erst zufolge der politischen Ereignisse von 1866
beseitigten Schleswig - Holsteinischen Dinggerichte. Diese
Gerichte waren nach darüber vorliegenden Mittheilungen aus
dem Jahre 1858 1 nicht etwa, wie in andern deutschen
Ländern, die zu blossen Rügegerichten herabgesunkenen,
sondern es waren die alten auch in Civilsachen mit schran-
kenloser Competenz bekleideten Volksgerichte. Ihr Vor-
sitzender, Vogt genannt, hatte noch 1858 nur die Gerichts-
leitung; er stimmte nicht mit. Sie wurden alljährlich einmal
im November (also als Ungebote), ausserdem auf Verlangen
einer Partei gegen besondere Zahlung (also als Kaufgerichte)
gehalten; die Dingmannen oder Schöffen sind 12 oder 16
„fromme Holsten", welche in allen Sachen über 10 Thal er —
und zwar „nach Vernunftrecht" — zu entscheiden haben,

1 Zöpfl, Alterthümer II, 441 flg. auf Grund von Mittheilungen des
Frankfurter Conversationsblattes von 1858 Nr. 332, welche später auch
in Beseler's etc. Zeitschrift für deutsches Recht Bd. 20 S. 97 flg. über-
gegangen sind. ,
 
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