Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
IV. ÜBER DEN URSPRÜNGLICHEN ZUSTAND DER BALUSTRADE.

15

viertens, die Möglichkeit offen, dass die kleine Treppe an
beiden Seiten durch einspringende Balustradenteile einge-
fasst gewesen wäre und dass dann also die beiden Eckstücke
vorn an der Treppe gegen einander über anzubringen seien.
Diese letztere Möglichkeit, welche natürlicherweise die An'
nähme einer Ausdehnung der Balustrade auf den Teil der
Nordseite zwischen der Treppe und den Propyläen in sich
schliesst, hat Körte in seinem Bericht vom 5. Mai 1878 ins
Auge gefasst. Aber man kann sich schwer denken, dass die
verhältnissmässig doch sehr enge Treppe durch eine an beiden
Seiten vorgenommene Aufrichtung so mächtiger Relief-
platten zu einer hohlen Gasse gemacht worden sei, in welcher
diese Reliefs unmöglich zur Wirkung kommen konnten, wäh-
rend nur auf der Westseite der Treppe allein angebrachte
Reliefs gerade eine sehr günstige Stelle hatten. Körte war
zu seiner Vorstellung veranlasst durch einen damals östlich
von der Treppe liegenden Block, an dem er und seine Ge-
nossen, bereits ehe Bötticher ihn umdrehen Hess, eine Lehre
und die Spur von Verklammerung erkannten und ihn des-
halb mit der Balustrade in Verbindung brachten. Es ist der-
selbe Bekränzungsblock, welchem Bötticher in seiner letzten
Arbeit26) so grosse Beweiskraft für seine Annahme der Fort-
setzung der Balustrade an dem östlichen Teil der Nordseite
beimisst. Aber bereits Körte dachte daran, dass dieser Block
vielleicht auch an die Südseite gehören könne. Dass er ur-
sprünglich da oder an dem südlichen Teil der Westseite
sich befunden haben müsse, führt Bohn in seinem Aufsatz
über den antiken Ursprung der kleinen Treppe, Archäol.
Zeitung- 1880 S. 85—91, aus und Bohns Untersuchungen, die
ich für abschliessend halten muss, haben irgend einen Anhalt,
die Balustrade östlich der Treppe fortzuführen, nicht ergeben.

In jedem Falle aber ist klar, dass die Balustrade an der
Westseite vor der Westfront des Tempels vorhanden war.
Es lehren dies, wie oben, in der Erklärung von Tafel I E
dargelegt worden ist, sowohl die von Körte, von Bötticher,
von E. Petersen und Bohn übereinstimmend nachgewiesenen
Verzapfungslöcher in den Kranzplatten, als auch die Be-
schaffenheit der Platte mit der sitzenden Athena, welche
nach dem hackenförmigen Ausschnitt auf der Rückseite un-
ten, wie Körte, Bötticher und E. Petersen unabhängig von
einander erkannt haben, an einer andern Stelle überhaupt
nicht unterzubringen ist. Wenn aber die Balustrade vor der
Westfront des Tempels vorhanden war, so muss sie doch
auch bis zur Südwestecke des Unterbaues gereicht haben.
Es ist nicht abzusehen, warum sie nicht da nach der Süd-
seite umgebogen sei. Sie muss dann auf der Südseite zu
irgend einem Abschluss gekommen sein, und eine sehr hübsche
Lösung bietet die Vermutung von Bohn, dass die Balustrade
von da, der Anordnung auf der Nordseite entsprechend, nach
innen, auf die Südostecke des Tempels zu, zurückkehre.

Nach dem allem ist klar, dass ich für die Anbringung
des neuen Eckstückes nur der zweiten und dritten der ge-
nannten Möglichkeiten Wahrscheinlichkeit zuschreiben kann.
Diese Vorstellung wird ferner durch den Fundort dieses
Stückes, unterhalb der Südseite (s. oben S. 4) empfohlen und
man wird geneigt sein, nach der Art des Fundes, die grössere
Wahrscheinlichkeit für die Südwestecke in Anspruch zu nehmen.

Ross nahm an, dass der längs der kleinen Treppe ein-
springende Teil der Balustrade sich bis an die Nordostecke
des Tempels erstreckt habe. Schöne fand an den Tempel-

26) In der Zeitschrift für Bauwesen Band XXX in den Heften i bis 7 und
in der daraus besonders erschienenen Schrift: Die Thymele der Athena Nike auf
der Akropolis von Athen in ihrem heutigen Zustand. Nach der tektonischen Unter-
suchung im Frühling 1878. Berlin 1880. Bötticher hat hier auf Grund seiner
neuen Untersuchungen vielfach von seinen früheren Ansichten abweichende Mei-
nungen ausgesprochen. Aber Bohn in dem in der Archäol. Zeitung bereits ver-
öffentlichten Aufsatz, wie in der unten folgenden Erläuterung des Grundrisses auf
Tafel VIII, bestreitet, dass die Angaben Böttichers alle thatsächlich richtig seien.

stufen keine Lehre für den Ansatz der Balustrade und Hess
unentschieden, wie weit sie sich hier fortgesetzt habe 27). Das
vermeintliche Endstück I E lässt sich für den freien Abschluss
jetzt nicht mehr anführen, wohl aber das neue von Bohn
gefundene Endstück, bei dem auch die Stufen, auf welche
Nike den Fuss aufsetzt, ohne weiteres den Gedanken an einen
Zusammenhang mit der Treppe nahe legen. Bohn, Archäol.
Zeitung a. a O. S. 86 erklärt: »Von der Treppe ist nur der
einschneidende Teil in fünf Marmorstufen erhalten . . . Sobald
die Treppe ihre jetzige Höhe erreicht hat, erbreitert sich
dieselbe nach Osten zu . . . Noch zwei Stufen weiter und die
Höhe des Paviments vor dem Niketempel war erreicht. Ge-
rade dort wird auch der östliche Lauf der Nikebalustrade
abgeschnitten haben; wir werden nicht fehl greifen, jenes
neulich gefundene Endstück, welches in seinen Massen vor-
trefflich dahin passt, auch dorthin zu setzen, so dass zwischen
Tempel und Balustrade ein kleiner Durchgang zu jenem vor
der Nordfront des Tempels liegenden dreieckigen Plätzchen
geschaffen wurde.«

Eine ähnliche freie Endigung wird demnach auch für
den von der Südseite her einspringenden Arm der Balustrade
anzunehmen sein, welche dann also den Tempel von Nord,
West und Süd und den nördlich und südlich von ihm liegen-
den Raum, zu diesem Raum nur schmale Zugänge lassend,
gleichsam umklammerte und äusserlich als Tempelgebiet
kenntlich machte, während der ganze Raum vor der Ostfront
und um den dicht an die Ostfront gerückten Altar für den
Zugang frei war. Ross hat den ganzen Unterbau eine ge-
waltige Ante der südlichen Burgmauer genannt. Bei der
angenommenen Anordnung stellt sich die Balustrade als eine
ringsum geführte schmückende Bekrönung dieses antenartigen
Abschlusses dar.

Die Länge der Balustrade an der Nordseite steht fest.
Die mögliche Schwankung in der Berechnung der Länge des
Einsprungs an der Nordseite macht keinen wesentlichen
Unterschied. Als sicher muss die Ausdehnung über die ganze
Westseite und auf die Südseite hinüber gelten. Der Abschluss
auf dieser Seite ist nicht thatsächlich festzustellen. Aber auch
wenn die Vermutung eines Einsprungs von Süden her nach
dem Tempel zu nicht das richtige getroffen haben sollte, so
würde, da man alsdann doch eine weitere gerade Fortführung
an der Südseite voraussetzen müsste, die Gesamtausdehnung
der Balustrade nicht geringer, sondern eher grösser ange-
nommen werden müssen, als es bei der befolgten Anordnung
der Fall ist. Diese ergibt eine Gesamtausdehnung von rund
35 laufenden Metern, wovon 2,10 auf den Einsprung längs
der Treppe, 9,10 auf die Nordseite, 10,80 auf die Westseite,
9,60 auf die Südseite, 3,10 auf den Einsprung an der Süd-
seite kommen.

Anordnung der Reliefs.

Die Länge der einen vollständig erhaltenen Platte be-
trägt 1,23 M. oder, wie vielfach als Mass angegeben wird, 1,25.
Der Gesamtausdehnung von 35 M. entsprechen demnach
28 Platten der Art, wie diese eine in der Länge vollständig
erhaltene; und es macht für die Berechnung zunächst keinen
Unterschied, wie die Eckstücke sich in die Reihe fügten, ob
alle Platten, wie zunächst anzunehmen ist, in der Regel gleich

2?) Auf der von Schöne (Balustrade ' Taf. IV) gezeichneten Skizze, welche
eine Reihe vorher nicht, auch nicht von Bötticher, beachteter Thatsachen richtig ■
angab, ist der Lauf der Balustrade längs der Treppe nach dem Tempel zu mit
ungleich endigenden punktirten Linien angedeutet. Böttichers Vorwurf (Thymele
S. 55), dass damit der Schein erregt werde, als gehe die Lehre der Balustrade über
den Porös hinüber, ist insofern nicht begründet, als Schöne im Text ausdrücklich
nur von der Lehre für das Kniestück selbst spricht und erklärt, er wisse nicht zu
sagen, wie weit sich die Balustrade nach dem Tempel zu fortgesetzt habe.
 
Annotationen