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Abb. i. Der Lettner. Kupferstich von J. Brunn, 17. Jahrhundert.

VII.

Der Lettner des Münsters. — Ein verschwundenes Kunstwerk1)

von Architekt J. Knauth, stellvertretender Münsterbaumeister.

Im Vergleich zu vielen andern Kathedral-
kirchen ist das Innere des Strassburger Münsters
arm an bildlichem Schmuck. Der Reichtum an
Altären, Ausstattungs- und Schmuckstücken,
Trophäen und merkwürdigen Seltenheiten, wie
uns die Aufzeichnungen vergangener Jahrhun-
derte erzählen, ist in den verhängnisvollen Jahren
des Bildersturms der Reformation und Revolu-
tion, zum Teil auch infolge veränderter An-
schauungen verloren gegangen und nur ein
schwaches Bild kann man sich heute von der
farbigen Pracht des Innenraumes machen, wenn
man die spärlichen, in den Sammlungsräumen
der alten Werkhütte aufgespeicherten Bruchstücke
zerstörter Schmuckwerke betrachtet.

Unter den im Laufe der Jahrhunderte ver-
schwundenen Werken aus dem Innern des
Strassburger Münsters gebührt eine erste Stelle
zweifellos dem Lettner, der im ersten Joch des
Langhauses vor dem Choraufgang errichtet, den
Zweck hatte, einerseits des hohen Chor des
Domkapitels von dem Laienraum zu trennen,
anderseits die Rückwand zu bilden für den
Pfarraltar sowie als Emporbühne, zum Ver-
lesen der Episteln und Evangelien zu dienen.

Aus der Zeitschrift Die „Denkmalpflege"
IV. Jahrgang, Nr 13, Berlin, den 15. Oktober 1902.
Mit gütiger Erlaubnis der Verlagsbuchhandlung von
Ernst & Sohn, Berlin.

Nach alten Beschreibungen war dieser Lettner
bis auf zwei Öffnungen gegen den Chor ge-
schlossen, gegen das Langhaus aber in sieben
und nach den beiden Seiten in je einem Spitz-
bogen geöffnet. Die Bögen waren durch Giebel
oder Wimperge bekrönt. Jedes Giebelfeld enthielt
eine Gruppe kleinerer Figuren, die Werke der
Barmherzigkeit darstellend. Zwischen den Giebeln
standen auf Kragsteinen unter reichgeschmückten
Baldachinen die Standbilder der Madonna mit
dem Kinde und der Apostel; zu beiden Seiten
jeder dieser Figuren schwebende Engel, welche
Kronen in den Händen trugen. Der ganze Vor-
derteil dieses Lettners war mit feinem Gold
überzogen; im Jahre 1415 wurde auf demselben,
dem Volke gegenüber, ein grosses Kreuz aus
Silber aufgerichtet. Ein ungefähres Bild bietet
uns ein Kupferstich vom Innern des Münsters
aus dem 17. Jahrhundert von J. Brunn,
(siehe Abb. 2.), welches den Lettner mit dem
Frügealtar und der angebauten Marienkapelle
zeigt, ferner drei Stiche von demselben Meister,
die Vorder- und die beiden Seitenansichten des
Lettners darstellend, in etwas grösserem Mass-
stabe (siehe Abb. 1). Ausserdem ist noch eine,
allerdings ziemlich ungenaue Aufnahme von
J. J. Arhardt aus dem Jahre 1643 vorhanden.
Im Jahre 1682, als Strassburg französisch ge-
worden war und der Bischof Egon v. Fürstenberg
seinen feierlichen Einzug in die Stadt und das
 
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