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Straßburger Münsterblatt: Organ des Straßburger Münster-Vereins — 5.1908

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Knauth, Johannes: Das architektonische Ornament am Strassburger Münster, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20535#0028
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Abb. 65.

eine Unmenge versteckter Hilfskonstruktionen
von Klammern und Ankern, es ist nur ein
architektonisches Kulissen werk ohne konstruk-
tive Wahrheit. Die Architektur ist selbst zum
Ornament geworden. Selbst die mächtigen
Tragpfeiler, die weitausladenden Strebepfeiler
der Türme sind nach dem Vorbild der
Fensterfüllungen in dekorativer Weise mit,
wenn nicht freistehendem, so doch angear-
beitetem schwächlichem Masswerk überzogen.
Die überzeugende Wucht des aufstrebenden
Pfeilers wird durch die Zergliederung in ein
System spindeldünner, überschlanker Säul-
chen in Zweifel gesetzt.

Auch das eigentlicheOrnament, besonders
das pflanzliche, erreicht die Höhe seines un-
mittelbaren Vorbildes nicht mehr. Meisterhaft
in Zeichnung und Modellierung lässt es doch
die bezaubernde Frische der Naturauffassung,
wie das Ornament des Langhauses sie zeigt,
vermissen und versucht durch handwerkliches
Virtuosentum und äusserliche Effekthasche-
reien über die beginnende innere Verflachung
hinwegzutäuschen. Eigentliche Spätgotik ist
dies zwar noch nicht, doch die schöne Zeit
des gotischen Ornaments ist vorbei, der
Herbst ist bereits angebrochen. Das Laub-
werk, das Blatt, was wir jetzt sehen, ist
nicht mehr das frisch vom Baum und Strauch
gepflückte. Die vormals straffe Blattachse
ist leicht wellenförmig bewegt, es zeigt die
leicht krümmende Bewegung des eintrock-
nenden Laubes.

Das Kapital folgt in seinem Aufbau der
Überlieferung, nur dass jetzt des öfteren die
leicht spielende wie zufällige Anheftung der
Blätter an den Kelch einer mehr schematischen
Anordnung weicht. (Abb. 70) Die Sockelplinte,
die früher quadratisch war, wird jetzt rund,
wodurch die konsolartigen Überführungen
wie auch das Eckblatt überflüssig werden.
(Übrigens tritt an anderen Orten die runde
Sockelplinte bereits mit der Frühgotik auf).

Eine besondere günstige Gelegenheit
zur Entfaltung des Ornaments bieten die
Portale mit ihren tiefen, reich gegliederten
Wandungen, ihren steilen, durchbrochenen
Wimpergen und dem Wald von schlanken,
reich geschmückten Fialen. In Verfolg des,
ich möchte sagen raffinierten Strebens der
Fleranziehungprickelnder Licht- und Schatten-
wirkungen sehen wir überreich gearbeitetes
Laubwerk in durchbrochener Arbeit die
Hohlkehlen der Gesimse der Wimperge, die
Archivolten füllen. (Abb. 71, 72) Auch die
Horizontalgesimse sind von reich bewegtem
Blattwerk begleitet. Besonders schöne Arbeit
zeigen auch die Konsolen der Statuen, die ur-
sprünglich das Stabwerk der Wimperge
schmücklen. (Abb. y3, 74) In den Zwickel-
füllungenlinden wir wieder die phantastischsten
Darstellungen in mannigfaltigster Ab-
wechselung.

Von hervorragend schöner Ausführung,
 
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