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Straßburger Münsterblatt: Organ des Straßburger Münster-Vereins — 6.1912

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Knauth, Johannes: Bericht über die Bauschäden am Turmpfeiler und ersten Arkadenpfeiler des Münsters
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https://doi.org/10.11588/diglit.20536#0106
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94

Etwaige Senkungen dieses Pfeilers, welche durch
Nachgeben des Bodens unter dem Pfeiler entstanden
sind, müssen beseitigt werden, und es muss Sorge
getragen werden, dass der Turmpfeiler in Zukunft
wirklich trägt.

2. Der erste Schiffspfeiler in der Nordwand ist
zu erneuern. Ob auch bei dieser Gelegenheit die
Fundamente sogleich bis zum tragfähigen Kies
hinabgeführt werden sollen, kann weiterer Entschei-
dung Vorbehalten bleiben. Wenn auch die Funda-
mente bislang genügt haben, so ist doch eine Ver-
besserung bei dieser Gelegenheit zweckmässig.

3. Beseitigung des Turmstrebepfeilers und der
Triforiumausmauerung im ersten Joch ist aus sta-
tischen Gründen nicht erforderlich. Die Verlegung
der Orgel wird empfohlen.

Entfernung des massiven Steinplattendaches im
ersten Gewölbefelde des Seitenschiffes halte ich für
fehlerhaft, vielleicht gar für gefährlich, dieses Dach
wirkt günstig.

Einfluss des Windes auf den Turmpfeiler.

Um die Frage zu klären, ob der Turmstrebe-
pfeiler für die Standsicherheit des Turmes bei Wind-
belastung nötig ist, habe ich das statische Verhalten
des Turmes bei Belastung durch Wind geprüft. Es
hat sich ergeben, dass sowohl, wenn der Wind den
Turm von der Portalseite aus, normal zur West-
front wehend trifft, als auch wenn er in der Rich-
tung der Grundriss-Diagonale des Turmes weht,
der Turm bei richtiger Fundierung des Turmpfeilers
vollständig standfest ist; erbraucht sich nicht gegen
die Längswände des Münsters zu stützen.

Die Vorschläge für die Gesundung des
Fundamentes des Turmpfeilers.

(Seite 24 bis 27 im Berichte des Münsterbaumeisters.)

Alle drei Vorschläge in dem Berichte des
Münsterbaumeisters sind bei Einhaltung der ge-
botenen Vorsicht ausführbar. Der Vorschlag unter
I ist am wenigsten empfehlenswert aus den im
Bericht angegebenen Gründen. Am meisten empfiehlt
sich nach meiner Ansicht der Vorschlag III, welcher
das alte Fundament beseitigen und ein bis auf die
tragfähige Kiesschicht hinabreichendes Fundament
hersteilen will. Die Hauptschwierigkeit bietet hierbei
die Abstützung des Pfeilers durch eine Hilfskon-
struktion aus Eichenstammholz, welche in ihrem
Kopfende einen grossen Teil der Pfeilerlast auf-
nehmen muss. Doch kann man annehmen, dass diese
Aufgabe gut gelöst wird. Wenn aber einmal so
wichtige und schwierige Arbeiten vorgenommen
werden, sollte man es sich zur Pflicht machen, nun

auch die Ausführung so zu gestalten, dass für alle
Zeiten ausreichende Sicherheit vorhanden ist.

Vorschläge der Lostrennung des Strebe-
pfeilers vom Turm.

Aus den obigen Entwicklungen geht hervor,
dass eine Trennung des Strebepfeilers vom Turm
nicht nötig ist; auch beim gegenüberliegenden
Turmpfeiler in der Südwand müsste man folgerichtig
auf diese Lostrennung kommen. Da der Turm die
Windkräfte bei guter Fundierung selbst verarbeiten
kann, ist meiner Ansicht nach die Befürchtung un-
begründet, dass er gefährliche, unkontrollierbare
wagerechte Kräfte auf die Langwände des Münster-
schiffes übertrage. Hinzu kommt der wohl allgemein
als berechtigt anerkannte Wunsch, dass man den
bestehenden Organismus so wenig wie möglich
ändern soll.

Rekapitulation.

Meine Ansichten fasse ich wie folgt zusammen:

1. Die Schäden am ersten Schiffspfeiler der
Nordseite sind verursacht zum allergrössten Teile
durch die ungenügende Fundierung des benachbarten
Turmpfeilers.

2. Die Fundamente des Turmpfeilers sind aus-
reichend zu gestalten, durch Hinabführen bis zum
tragfähigen Kies. Von den drei Vorschlägen des
Münsterbaumeisters halte ich den dritten für den
empfehlenswertesten, sodann folgt der zweite. Den
ersten Vorschlag möchte ich nicht empfehlen. Die
gegen ihn sprechenden Gründe sind in dem Berichte
auseinander gesetzt.

3. Der erste Schiffspfeiler ist nach Vollendung
der Arbeiten am Turmpfeiler zu ersetzen, und auch
mit Fundierung bis hinab zum Kiesboden zu ver-
sehen.

4. Die Versetzung der Orgel nebst Zubehör
von dem zweiten Joche der Nordseite nach einer
Stelle, welche dieser Last unzweifelhaft gewachsen
ist, ist geboten.

5. Beseitigung des Turmstrebepfeilers und der
ausgemauerten Triforienwand, beides aus dem ersten
Joche, ist nicht erforderlich.,

6. Beseitigung des massiven Steinplattendaches
über dem ersten Gewölbefelde des Seitenschiffes ist
zu vermeiden.

Berlin-Wilmersdorf, 19. November 1909.

gez. Dr. Ing. Th. Landsberg,
Professor a. D.,

Geheimer Baurat.
 
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