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Wir haben es ausschließlich mit der Bildenden Kunst zu tun; jeder
Vergleich mit den anderen Künsten liegt uns vorläufig fern, außer es
nimmt der Literar- oder Musikhistoriker selbst dazu das Wort (vergleiche
Cysarz „Kunde, Wesen, Entwicklung“, S. 238). Ein übereiltes Vergleichen
von Werten der Dichtkunst mit solchen der Musik kann, ohne daß vor-
her über den Plan Einigkeit erzielt worden ist, eher schaden als nützen.
Schmarsow zum Beispiel in seiner Arbeit „Kompositionsgesetze in der
Kunst des Mittelalters“ (vgl. Theol. Eit. Zeit., 1916, 514), vergleicht
Vers, Periode und Strophe mit dem Säulenpaar und Schaltraum, die zur
Reihe aufsteigen, ferner mit dem Parallelismus, dem Lichtgaden und den
Konzentrationsmotiven.
Dieses Loslösen ist grundsätzlich wichtig gegenüber der Ästhetik
sowohl wie der Allgemeinen Kunstwissenschaft: Der Fachmann wird
unbedingt auf dem Boden der Einsicht bleiben, die er als Historiker in
der Denkmalkunde gewonnen hat. Er wird nicht der Verallgemeinerung
einer historischen Einzeltatsache, sondern dem besonderen Ziele zustreben,
aus dem Mannigfaltigen der geschichtlich festgestellten Tatsachen im
Wege der Wesensforschung zur Erkenntnis des Allgemeinen und dann
auf dem Boden des Historischen und dieses Allgemeinen zur Erkenntnis
der künstlerisch treibenden Kräfte, das heißt der Entwicklung der Kunst
vorzudringen.
Zwischen die Geschichte der Bildenden Kunst im engeren Sinne, die
zeitörtliche Anordnung der Denkmäler, und die Geschichte im weiteren
Sinne, die Entwicklungsgeschichte, schiebt sich also die Auseinander-
setzung mit den künstlerischen, das heißt jenen Tatsachen, die aus den
Denkmälern herausgeholt werden, sobald man diese nicht mehr zeitörtlich
beschreibt, sondern als Kunstwerke auf die in ihnen selbst liegenden
künstlerischen Werte hin betrachtet. Selbstverständlich trete ich dabei
persönlich und mit meinem Geschmacksurteil völlig zurück. Um das zu
ermöglichen, werden Verfahren zu suchen sein, die ein solches rein
sachliches Feststellen und Sichten der künstlerischen Werte ebenso
gewährleisten, wie es die statistischen und historisch-philologischen
Methoden neben dem vorläufigen Vergleichen auf Ähnlichkeiten hin im
Rahmen der Denkmalkunde ermöglichen. Immerhin hatte man mit diesem
Vergleichen bereits fachmännischen Boden betreten und es wird sich nur
darum handeln, das Verfahren des Vergleiches nunmehr derart aus-
zubauen, daß nicht mehr die äußere Ähnlichkeit, sondern das innere
Wesen dabei einer genauen Untersuchung unterzogen wird. Wir nennen
diese Art Forschung daher Wesenswissenschaft und trennen diese ganz
bewußt von der Vorarbeit der „Geschichte“ oder Denkmalkunde und
jener „Geschichte“, die den bestimmenden Kräften nachgeht, also das
Werden der Bildenden Kunst im Rahmen der übrigen natürlichen und
geistigen Zustände von Welt und Leben zu verstehen sucht. Diese Ent-
wicklungsforschung umfaßt eine dritte Art von Verfahren und Gruppen,
die keinesfalls mit denen der Denkmalkunde verwechselt werden dürfen
 
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