Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
FÜNFTFR VORTRAG.
SACHFORSCHUNG: WESEN.
Die eigentliche Facharbeit beginnt mit der Wesensforschung. Denk-
mäler nachweisen kann bald jeder Historiker und Philologe. Dabei ist
das Verfahren für alle Fächer im Grunde genommen das gleiche. Das
Verfahren der Wesensforschung dagegen ändert sich sachlich von Fach
zu Fach derart, daß es kaum im Gebiete der Künste, also der Dichtung
und Musik, als das gleiche bezeichnet werden kann wie in der Bildenden
Kunst, geschweige denn in Glauben und Sitte, Wirtschaft und Recht,
Gesellschaft usw. Dazu gehört jedesmal ein anderer Fachmann. Es ist
eine große Täuschung, wenn man glaubt, dieses Allgemeine jedes Faches
könne der Philosoph herausarbeiten. Daran liegt es eben, daß die
Geisteswissenschaften so schwer zum Fachbewußtsein vordringen und so
langsam von der Geschichte und Philologie zur eigentlichen Forscher-
arbeit vorschreiten.
Nehmen wir die Forschung über Bildende Kunst. Eine vor kurzem
erschienene „Methode der Kunstgeschichte“ schiebt die Facharbeit einfach
dem Ästhetiker zu. Und doch bildet gerade sie den Kern der Kunst-
forschung und kann berufsmäßig als Lebensarbeit nur von dem betrieben
werden, der nicht nur gelernt hat, von Sachen und der Erfahrung an
ihnen, ihrer Feststellung und dem sichtenden Vergleich auszugehen: In
der Wesensforschung wird ihm die „Sache“ zum „Wesen“. Eine ganz
neue Tatsachenreihe, eine solche höherer Ordnung, tritt neben die erste,
der Feststellung des Seins, zu dem „ist“ muß nun nachgewiesen werden,
„was“ fachmännisch ist. Die Kunstgeschichte hat bisher ganz übersehen,
diese Tatsachenreihe planmäßig zu überlegen und wissenschaftlich in
Ordnung zu bringen. Sie hat zwar zu allen Zeiten Wesensfragen mit in
die Behandlung einbezogen, aber ungeordnet und einseitig, fast nach
Moden wechselnd. Entwicklung gar hat sie auf gut Glück gemacht.
Haben wir in der Denkmalkunde darauf gedrungen, jede Begrenzung
in Ort und Zeit aufzuheben und den Blick immer auf das Ganze
gerichtet zu halten, so muß jetzt dieser in die Breite gehenden Art
gegenüber in der Wesensforschung um so mehr auf Grenzlinien gedrungen
werden: um das Fach von den Nachbargebieten loszulösen und auf seine
eigensten, in die Tiefe gehenden Angelegenheiten einstellen zu können.
9
 
Annotationen