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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 9 (April 1910)
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Kurtz, Rudolf: E. T. A. Hoffmann, [2]
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Stoessl, Otto: Die Hackinger Allee
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0070
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E. T. A. Hoffmann

Von Rudolf Kurtz sci.u.b

Die Kunstmetaphysik projiziert sich auf ein
willfähriges Temperament, das mit ungewöhnlicher
Leichtigkeit Stoffliches findet und die Anekdote mit
sicherer Virtuosität zu erzählen weiß. Hoffmann
schrieb gern und leicht. Aber die wirklichen Kunst-
werke entstanden unter der hypnotischen Kraft
eines nicht zu ertragenden Schmerzes, sind empor-
gewirbelt aus Rausch und Qual, Traum und Tod,
leuchtende Formen, von hämischer Selbstverach-
tung verzerrt. Es verlangt Weltfremde oder große
Schamlosigkeit, einen Zarathustra zu schreiben:
und Hoffmann hatte immer einen Beruf. Das Zeit-
gemäße in ihm zwang ihn in die Atmosphäre der
Qeheimräte und Aktuare, er hatte den schlechten
Urngang des Schriftstellers, der in seinem Milieu
eingeschiossen ist. Ihre Schwächen erfaßt sein
Blick am sichersten. Es gibt keine schärferen Por-
träts des Salonverkehrs als die Novellen Hoff-
manns. Er sah weit genug, um moralische Wer-
tungen zu vermeiden: er sagt nicht gut und böse,
sondern gute und schlechte Musikanten. Der farb-
lose Bürger ist ihm fremd; er vergröbert, er sieht
ihn unter der Optik des Exzentriks. Diese absolu-
ten Kontrastierungen veimindern den Fonds seiner
'i'ypen; eigentlich sind es nur zwei: Anselmus, der
naive Künstler, und Julia, „die Liebe des Künstlers“.
ln diesen Situationen fühlte er sich stets: als Ansel-
mus unter den Philistern und zur Julia wurde ihm
jede üeliebte. Er erlebte sie wie ein Kunstwerk:
in den Tagebüchern sind tolie Sprünge, Stimmun-
gen sinken in hohen Wellenbergen, schwanken in
großen Kurven, die entlegensten Punkte der Seele
berührend. Die Stunde der Verzweiflung zersplit-
tert in helle Ironieen, die plötzliche Trauer ablöst.
Ansätze zu hohen Begeisterungen, die in zucken-
den Mundwinkeln untergehen. Die einzige Rettung
ist die Musik. Er notiert die seltsamen Stunden vor
dem Schaffen, vor dem Träumen, wo die Erschei-
nungen in unmeßbarem Tempo sich in Landsqhaf-
ten umsetzen und wieder in ein magisches concert
spirituel.

In diesem Chaos fabelhafter Korrespondenzen
vertiefen sich die üesichte; ein kleines Fräulein
Marc aus Bamberg wird Julia, wird Donna Anna,
dieser Traum aus Musik und Vision, wird Aurelia,
die Qnadenvolle, die den verlorenen Mönch mit
ihrer reinen Liebe rettet, wird Julia und Hedwiga,
die Schmerzensreiche, unsere liebe Frau mit den
sieben Schwertern: Sancta Caecilia in ülorien
schwebend über den Passionsweg des kleinen
Rats. Sie allein wecken die Kunst im Menschen,
und der Künstler ist der Sieger im Leben; wer
phantasielos genug ist, in jedem Symbol die Alle-
gorie zu suchen, wird diesen Triumph des Musikers
leicht aus seinen Worten herauslesen: in einem sei-
ner feinsten und programmatischsten Bücher, Klein
Zaches, ist es eindeutig gesagt, daß die transzen-
dentale Erkenntnis nur ein Surrogat ist, nur die in-
tuitive, musikalische ist durch keinen Schleier der
Maja zu täuschen. Das innere Leben erkennt
traumhaft; wenn ein Anselmus eine Serpentina
findet, so ist die äußere Welt eine Flut von Me-
taphern, blüht unter Leuchten und Musik, und in
diesem inspirierten Zustande erkennt er das Urbild
der Dinge. Hoffmann der Künstler überrascht den
Schriftsteller immer, die geschickt gefundene Anek-
dote vergeistigt sich unbewußt, und endlich sind
nur noch ihre Konturen, von einem fremden, musi-
kalischen Qeist gefüllt. Die Kunst war ihm nur als
Symbol denkbar: so zeigt sich ihm Mozarts Don
Juan, den er zu dem Typus stilisiert, wie er in un-
serer Anschauung lebt. Die Vergeistigung der
Sinnlichkeit fordert der Künstler von seinen Men-
schen. Anselmus heiratet die schöne, aber ma-
terielle Veronica nicht, und Eduard nicht Michae-
line (in der Brautwahl).

Das Leben des Künstlers, wie es Hoffmann in
der Imagination lebte: das war sein tiefstes Erlebnis.
Es ist vielleicht das Qrößte an ihm, daß nächst
Qoethe kein Dichter sein Leben so künstlerisch ge-
lebt hat, sein Werk so kristallisierter Niederschlag
der inneren Abenteuer ist. Er stellt den eigenen
Schmerz und die Leiden mit der Unmittelbarkeit
großen Künstlers heraus, und dies adelt sein Werk
über die Zeiten. Und weil ihn die Welt mit ihren
Fremdheiten beunruhigte, rang er mit dem Grauen
des Ekstatikers. Seine Menschen kämpften in
hohen Spannungen der Lebensangst: alle Dinge er-
starrten in den farblosen Qrimassen des Entsetzens,
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die Seele tauclit von inneren Schauern zu tiet'eren
Qefahren, Visionen gebärden sich wie Philister, und
Philister haben die Qebärde schattenhafter Fakire:
durcli die hohlen Löcher der Masken strahlen immer
andersfarbige Lichter; der graue Archivarius Lind-
liorst wird zum leuchtenden Salamanderkönig,
Prosper Alpanus steht im kaiserlichen Mantel des
Magiers, und Peregrinus Thyß blüht weiß und
herrlich empor, und dunkelrot blutet sein Rubinherz.
In Ekstasen der Angst versinkt das Qefühl der Per-
sönlichkeit, die Qlieder funktionieren automatisch,
das Qehirn ist sich seiner tödlichen Angst bewußt,
imd hinter dieser Erkenntnis schielt das träge Auge
des Wahnsinns. In diesem Schrecken krümmt sich
der fanatische Analytiker. Der Schriftsteller sucht
die Qual der Nächte in sichere Metapher aufzu-
fangen, zu verdeutlichen; etwa durch ein Messer,
das sich durch Qenerationen vererbt und immer
Unheil anrichtet: ein beliebtes Kequisit der Schick-
salsdramen. Hoffmann weiß die Atmosphäre sei-
ner Werke so wundervoll abzustimmen, daß Traum
in Tat und Tat in Traum verrinnt: es ist nie sicher,
ob etwas Wirklichkeit oder Fiebertraum ist. Die
kieinen Novellen sind technisch unübertrefflich und
enthalten des Köstlichen mehr als die gesamte
Nachromantik. Psychologische Parforceleistungen
wie das Fräulein von Scuderi, auf deren buntem
Qrunde die schimmernden Juwelenorgien des Gold-
schmieds Cardillac kreisen, grauenhafte Landschaf-
ten im Ignaz Denner, Spätherbstabende über dunk-
len Fichten und verrufenen Wegen, in denen der
rote Mantel wie eine Fahne in einsamen Nächten
saust, spielen mit großer Qewandtheit auf der
Bühne seiner Leiden. Qlänzend komponierte Detail-
gemälde wie die Brautwahl, Signor Formica, Das
Majorat: das leuchtet in hellen Farben und fabel-
Iiafter Bewegtheit. Dann die Offenbarungen seines
tiefen Kunstenthusiasmus: Der goldene Topf, Klein
Zaches, die Musikantenstücke. Und die unver-
gleichliche Brambilla, dieser Traum aus Musik und
lichten Wolken, der berauschte Karneval der Mathe-
niatik. Oft vernachlässigt stehen die Elixiere des
Teufels auf dem Qipfel seines Werkes. Visionen
iin rapiden Tempo durch unglaubliche Landschaf-
ten wirbelnd, Menschen wie fliegende Nebel
skizziert, Qenrestücke von präziser Energie,
Abende, die Grausen mit Lyrismus mischen, ent-
setzliche Kommunionen von Purpur und Nacht.
Und sein stärkstes Werk, die Kreislerbiographie,
die Ausstellung der lebenden Automaten, der blu-
tende Mechanismus, Seelen so klar wie bläulicher
Stahl, über den der Mond fährt, blutige Strudel, in
denen Menschen wirbeln: dunkle Qewitternächte,
schwarz von goldenem Stahl durchzuckt und das
gelassene Dröhnen einer Wetterharfe. Das sollte
noch stärker in den „Lichten Stunden eines wahn-
sinnigen Musikers“ klingen, deren Pian sein ganzes
Leben begleitet. Ein Buch für Kenner sollte es
werden; für alle und keinen, wie der Zarathustra.
Eine Disposition ist erhalten: „Die Liebe des Künst-
lers — der kühle Augenblick — Klang aus dem Nor-
den — Klang aus dem Süden — Mystik der Instru-
mente — musikalisches Helldunkel — Tonarten.“
Das ist sein Leben, in Musik umgesetzt. Die
Menschen entmaterialisieren sich, und die Musik
ist eine bessere Moral als die ungewissen Worte.
Die Musik ist oline Maske, und sie ist Kreisler und
Julia, Medardus und Aurelie. In ihr darf die Scham
deutlich werden, die er im Leben „als Hieroglyphe“
geachtet wissen will. Unbewußt erwachen die
lichten Stunden, ein hingebendes Phantasieren auf
einem imaginären Flügel. Bis die Sehnsucht in
toller Ironie stirbt. Dann sinken die Vorhänge, der
Musikant unterrichtet, er gehört den andern. Der
kleine Musikmeister begleitet den Qesang seiner
Julia, einer hübschen sechzehnjährigen Dame aus
guter Familie. Der schon gealterte Herr gefällt
sich in den affektiertesten Posen, folgt ihr mit ge-
spitztem Munde und verzücktem Augenaufschlag:
ein etwas undeutlicher Ausdruck für eine Inbrunst,
die sich im Mittag ihres Glückes fühlt. Mühsam
wird ein Gelächter unterdrückt.

Eine Neuausgabe der Werke von E. T. A. Hoffmann erschien im Verlag
Oeorg Müller / München

Die Hackinger Allee

Von Otto Stoessl

Oft wenn ich an schönen Abenden durch die
Hackinger Allee allein oder mit guten Qefährten
gehe, wundert es mich, daß sie eigentlich in der

Wiener Landschaft, deren jeder Winkel seinen hei-
matlichen Patron hat, nicht so berühmt ist, wie sie
es verdient. Von ihr geht keine Sage, und doch
möchte ein großer wandernder Musikant auch untei'
ihren Wipfeln die innige Melodie der Natur haben
vernehmen können, welche in einer schaffenden
Seele den Funken der eigenen Musik entfacht.
Von der Hackinger Allee wird nichts berichtet, und
doch war sie sicherlich schon vor einem halben
Jahrhundert längst so stattlich, wie heute und noch
um eins stiller, feierlicher und bedeutender durch
ihre unverwirrte Einsamkeit.

Vielleicht kommt ihr ruhmloses Heldentum
daher, daß auch die Erinnerung lieber einen
still verharrenden, in sich geschlossenen Raum.
gleichsam einen dauernden Wohnort aufsucht,
als eine Straße, auf der man von eineni
fremden Ziele zurückkehrt oder fernerhin nach
einem erhofften wandert. Man geht wohl gerne
durch einen so tiefdunkel schattenden Weg, aber
läßt, rechts und links und nach vorn ausschauend,
unwillkürlich die Betrachtung weiterschweifen, so
daß der schönste Anblick, kaum aufgenommen, aucb
schon wieder — im Wortsinne — verloren „ge-
gangen“ ist, wie im Leben so oft die kleinen Freuden
der Stunde über den erträumten einer weiten Zu-
kunft oder den schmerzlich wunderbaren einer
fernen Vergangenheit. Man blickt zumeist auf ein
goldenes Morgen- oder Abendrot der Einbildung.
Der kurze Tag aber, in dessen Lichte wir wandern,
scheint uns gering unter der gleichen Reihe seiner
Qeschwister, nur ein Durchgang, kein Aufenthalt.

So eilen durch diese Ailee, die den wallenden
Lärm der Stadt im Rücken, in die ländlichen
Wienerwaldorte führt, tagaus und -ein viele
Menschen, während sie selbst, das schönste Ziel,
als solches kaum oder nur von wenigen geachtet
wird.

Die „Auhofstraße“ beginnt in Hietzing, zieht iü j
großem, seichten Bogen an Unter- und Ober-
St. Veit vorüber, endlich durch das schmale, an den
Himmelberg gelehnte Gartenörtchen Hacking,
dessen letzte Häuser am Rande der Tiergarten-
mauer sozusagen einschlafen und setzt sich nun als
mächtige Allee noch ein gutes Stück fort bis zu
ihrem Ziel: dem Auhofe.

Das ist ein sorgfältig gehaltenes großes Jagd-
Iiaus, einer der Haupteingänge des Lainzer Tier- :
gartens, halb bürgerlich und bäuerlich, wie ein lieb-
liches Landanwesen im Weichbild der Stadt, in-
mitten von schön gepflegten Obstbäumen und Rosen-
stöcken, überschattet von weiten runden Linden,
lialb vornehmen Ansehens als ein Schlößchen. Def
Hauptförster des Wildparkes, der es bewohnt, die
Schar der untergebenen Jäger, Holzknechte, Fuhr-
leute und Handlanger geben ihm nach der Art ihref
Beschäftigung, die sich der Umgebung aufprägt, den
Anschein einer rüstig betriebenen, schlichten Wirt-
schaft, der weite, abgeschlossene Tiergarten-
hintergrund aber, und die reichlichen Verhältnisse
seiner großräumigen und bis ins Letzte gepflegten
Anlage, das den kaiserlichen Bauten eigentümliche
Qelb des Anstriches, die zugleich einfachen und an-
inutigen Formen rücken es wieder in seinen höheren
Rang. Sind doch eben diese bescheiden alther-
gebrachten, durchaus tüchtigen und auf dauernde
Brauchbarkeit eingerichteten Jagd- und Land-
liäuser vielleicht die letzten Zeugen der stilbildenden
Kraft des Absolutismus, während die Gegenwart,
selbst wenn sie das Alte nachbildet, innerlich un-
sicher in ihrer Bauweise, ihrer selbst ebensowenig
froh wird, wie in manch anderem Belange.

Gleich sicher, fest, verläßlich, würdig und an-
rnutig wie dieses Ziel ist auch der Weg: unsere
Allee. Nur ein bescheidenes Stück, wenn man
ganz bedächtig geht, vom letzten Hackinger Hause
bis zum Auhofe vielleicht höchstens eine halbe
Stunde lang, aber welch ein unverhofftes, liebes
und vertrautes Wunder bei jedem Schritt, in jeder
Stunde, bei jedem Wetter, in jeder Jahreszeit!
Fast täglich wandere ich diesen Weg und staune
täglich über seine neuen Schönheiten oder über die
alten unerschöpflichen. Ist ja jeder Naturanblick
iiberhaupt durchaus unergründlich, wie die Tiefe
des gestirnten Himmels, des dunklen Wassers, wie
der Umriß eines blauen Höhenzuges oder die Forn'
eines geschlossenen Wipfels, oder auch nur wie di«J
unwissende Bewegung eines Tieres oder der helR
Aufflug eines Vogelschwarmes.

So erscheint die reizende Vielfältigkeit einef
Qegend gleichsam in den Rahmen dieser Allee ge-
faßt, wie der Mensch als Landschaftskünstler gerne
solche Versuche und mit Glück unternommen hat,
 
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