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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 10 (Mai 1910)
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Altmann, Wilhelm: Die Indianeroper
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Walden, Herwarth: Araberpantomime
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Minimax: Politik und Luftschiffahrt
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Eröffnung: der Berliner Kunstausstellung
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Achtung! Dichter!
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Baum, Oskar: Ballade aus dem Leben der Begriffe
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0082
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Neuheiten von jedem kleinen Stadttheater in
Schatten gestellt wird? Sollte es nicht möglich
sein, die Annahmekommission zu reorganisieren?

Prof. Wilhelm Altmann

Araberpantomime

Der Orient bricht sich Bahn. Professor Max
Reinhardt hofft bald sich die Brust mit einem
exotischen Orden schmücken zu dürfen, und Viktor
Hollaender, der Dramaturgenbruder, wird höchst
einfach durch Darbietung seiner Meisterwerke
die gesamte deutsche Musik in jene bessere Qegend
einfiihren. Daß man Hollaender iiberhaupt disku-
tirt, wird niemand erwarten. Trotzdem dieser so-
genannte Komponist, der nach beriihmtem Muster
nur die „Melodien“ erfindet, alles aufgeboten hat,
was anderen Leuten seit zweihundert Jahren ein-
gefallen ist. Aber auch bei dieser Tätigkeit versagt
sein schlechtes Qedächtnis allzu häufig. Es bedarf
einer erheblichen Anstrengung, die Originale wie-
derzuerkennen. Warum hat Reinhardt nicht wenig-
stens unseren Paul Lincke mit der Musik betraut,
der sich in der letzten Metropolrevue viel orienta-
Iischer vorkommt und wenigstens an Qedächtnis-
hypertrophie leidet. Bleibt die Aufführung. Sie
erwies einwandsfrei, daß Reinhardt nicht gestalten
kann. Da ihm die Qesten fehlen, stellt sich zur un-
rechten Zeit ein Lachen, Weinen, Räuspern, Husten,
Klappern ein. So wurde Originalität in der Pan-
tomime S u m u r u n hörbar markiert. Die Plastik
mit „echten“ Haaren. Das Sprechen des Schwei-
gens durch „Naturlaute“ ausgedrückt: Offer.barung
der Unfähigkeit. Reinhardts System: Er gibt statt
des Ungewöhnlichen das Ungewohnte, und der
Bluff für Publikum und Kritik ist erreicht. (Alfred
Kerr bildet die einzige, riihmliche Ausnahme.)
Namentlich, wenn man noch Bretter durch das
ganze Parkett legt, sie symmetrisch mit Papier-
blumen behängt, und diese langen Latten „Blumen-
weg“ tauft. (Sie verstehen: Japan!) Man bietet
dadurch zugleich dem Publikum Qelegenheit, die
unteren Extremitäten seiner Lieblinge aus nächster
Nähe bewundern zu können. So wurden die pan-
tomimischen Schwierigkeiten zwar nicht spielend,
aber wenigstens Iaufend überwunden. Wieder ein
Beweis, daß Reinhardt Einfälle hat. Aber auch
hunderttausend E i n f ä 11 e geben keinen Bau,
worauf es doch schließlich ankommt; nur in Potem-
kinschen Dörfern entstehen Häuser ohne Grtitid und
Qrundriß.

Es ist schwer, unter solchen Umständen den
Leistungen der einzelnen Darsteller gerecht zu
werden. Das Qanze war nun einmal durch die
Regie total verzeichnet. Dazu Biihnenbilder in
modernem Kitsch, dem famosen „Jugendstil“. Der
Orient mit Aschingerphantasie gesehen, durch
hollaenderische Potpourris gehört, und von den
Schwestern Wiesenthal wirklich ganz ent-
zückend wienerisch getanzt. Sie Sollten sich nie
wieder in diese babylonische Verwirrung begeben.
Das sind sie ihrem Kiinstlertum schuldig. Das Be-
wußtsein, in einer Pantomime aufzutreten, be-
saßen nur RudolfBIümner, FritzRichard
und Ernst Matray, Bliimner war geradezu
schöpferisch in Mimik und Gestik. Sie hatte die
Regie mit den kleinsten Rollen bedacht, sich hin-
gegen der Herren Wegener, Schildkraut und Moissi
offenbar so angenommen, daß ich nicht zu entschei-
den wage, ob die Herren unbeschlagnahmt anders
gehandelt hätten. Unangenehm fiel Richard Qroß-
mann durch zirkusmäßige Vordringlichkeit auf, die
er auch sonst bei unpassenden Qelegenheiten reich-
lich betätigt. T r u s t

Politik und Luftschiffahrt

Graf Zeppelin ,

Der Tag von Echterdingen brachte eine unge-
heure Gefühlswolke über ganz Deutschland. Man
hatte einem dramatischen Vorgang beigewohnt,
und die Erschütterung, welche der tragische Aus-
gang geweckt hatte, löste sich in klingenden Millio-
nen Mark. Man nannte diesen Erfolg einer drama-
tischen Handlung ein nationales Werk. Qraf
Zeppelin aber genoß von da ab das Glück, Liebling
des Volks zu sein. Parseval und Qroß waren völlig
geschlagen, nachdem sich gezeigt hatte, wie gänz-
78

lich das Luftschiff bei Echterdingen verbrannte.
Der Streit der Systeme war durch den Untergang
des Zeppelin eindeutig in des Qrafen Sinne entschie-
den. Als Heros zog er in Berlin ein. Abermals
liegt ein starres Luftschiff bei Weilburg. Man
könnte jetzt lange die Trommel rühren, ehe einer
die Hand zum Portemonnaie führt. Denn jeder hat
das Qefühl: Es ist eine herrliche Sache um die
Heroen, und eine faule um ihre Luftschiffe.

Die Vorweltmenschen

In Le Monstre in der Dordogne und in Combe
Capelle wurden Menschenskelette aus dem Di-
luvium gefunden. Wie uns mitgeteilt wird, — wir
iiberlassen aber die Verantwortung unserem Be-
richterstatter — sollen in der vergangenen Woche
diese Diluvianer aus dem Völkerkundemuseum ver-
schwunden und, ohne daß sie irgendwie auffielen,
im Herrenhause erschienen sein.

Das patriotische Aeroplan

Der serbische Thronfolger nahm letzthin an
einem Flug im Whrightschen Apparat teil. Beim
zweiten Flug machte die Maschine jenseits der
serbischen Qrenze plötzlich halt, landete und war
durch keine Maßnahmen zu bewegen, den Thron-
folger wieder nach Serbien hineinzubringen. Erst
als Vertreter der österreichischen und russischen
Regierung im Aeroplan Platz genommen hatten,
schwirrte der Apparat in sehr gehobener Stim-
mung ab. M i n i m a x

Eröffnung

der Berliner Kunstausstellung

Am Sonnabend half ich die Berliner Kunstaus-
stellung miteröffnen. Zu dem Zwecke war eine
Leine schräg durch die Kuppelhalle gezogen, auf
deren einer Seite Bretter mit Ehrengästen, Präsidial-
beamten Iagen, was die Menschen auf der anderen
Seite mit Operngläsern scharf beobachteten. Einige
ältliche Damen, die das lange Stehen nicht vertragen
konnten, schnörkelten sich zum Erstaunen der Um-
welt auf einen Brunnenrand hin und lächelten fort-
gesetzt; nämlich sie hatten den Zweck des Brunnens
erkannt. Wir standen und hliebpn ernst.

Um ein halb drei fing einer auf der Bretterseite
zu reden an. Wie warmes Wasser im Kessel in
die Höhe steigt, sich an der Oberfläche abkiihlt und
dann wieder zurücksinkt, so drängten die Hinteren
auf meiner Seite gegen das Seil, prallten, sobald
sie in Hörweite des Redners gekommen waren, zu-
rück und standen nunmehr apathisch hinten herum.
Ich hielt mich, sobald ich das Phänomen studiert
hatte, sorgsam in der Ecke. Einmal hörte ich, der
Abfluß deutschen Qeldes an ausländische Maler
werde seitens des Vereins Berliner Künstler be-
dauert; ich begriff unbewegt beides: das Bedauern
und den Abfluß. Um drei riefen sie auf den Bret-
tern plötzlich: „Hoch!“; da wandte ich mich be-
friedigt, denn nun war die Ausstellung eröffnet.
Was soll ich von den Bildern sagen? Es sind sehr
viele; einige bunt, andere weniger, die meisten ganz
ohne Seele; wesentlich unterscheiden sie sich aber
im Format von einander. Da ich kein Zentimeter-
maß bei mir hatte, kann ich mir kein Urteil über
die Ausstellung erlauben. Gegen ein viertel vier
ging ich in den Garten. Hier war keine Leine. Es
gab warme Würstchen mit sauren Kartoffeln. Der
Kellner sagte bewundernd: „Die Menge Bilder
männlichen und weibliehen Geschlechts.“ Ich tat
Mostrich zu meinen Würstchen und wärmte sie
vorsichtig über einem Streichholz. R. R.

Achtung! Dichter!

In dieser schlechten Welt lebt ein Mann, der so
gut ist wie der heilige Antonius und so mitleidig
wie die Hirschkuh derGenofeva. Als nun deredle
Mensch sah, wie das arme Volk von den berufs-
mäßigen Schriftstellern durch die Schundliteratur
berufsmäßig verdorben wurde, weinte er sechs
Tage und Nächte. Am siebenten Tage aber, dem
achzehnten April 1910 ging er — infolge einer gött-
lichen Eingebung — in das Bureau des Berliner
Lokalanzeigers, legte vierhundert Mark auf den
Tisch und bemerkte, er wäre der Internationale
Literaturbund und müsse unbedingt eine halbe
Seite für sein großes Preisausschreiben haben.
„Aber gern“ sagte der Lokalanzeiger.

Dies Preisausschreiben kann niemand lesen
ohne daß ihm die Augen naß werden vor so vie
Hochherzigkeit. Dreißigtausend Mark, noch dazlj
in bar, will der prächtige Mann für alle möglicheH
netten Sachen, wie Erzählungen, Qedichte, klein'
Abhandlungen, auch Malereien und Photographiei
verteilen. Und mit biblischer Weisheit bestimmt ef
„Entgegen der Qewohnheit, aus vielen gutei
Werken ein paar sehr gute auszuwählen, hat del
Internationale Literaturbund die Absicht, sämtlich<
Werke abzudrucken.“ Dies, meint der wunderbari
Mensch, ist das schönste und wirkungsvollsß
Mittel zur Bekämpfung der Schundliteratur. Be
solcher Qüte wird überhaupt keiner wagen, etwa!
schlechtes zu schicken. Die Einteilung der Preis<
wird noch nicht bekannt gemacht. Natürlich! Ufl
die werten Schriftsteller, Qelehrten, Künstler uni
Photographen nicht durch schnöde Qeldgedanket 1
unkünstlerisch abzulenken oder gar zu beunruhigefl
Auch die Namen der kunstverständigen Preisrichtei
werden nicht genannt — damit nur niemand Korv
ruptionsgelüste verspüre. Und daß den Einsendert
für die Drucklegung keine Kosten erwachsen, is 1
bei diesem Adelsmenschen schlechthin selbstvefl
ständlich. Erinnert er nicht wahrhaft an jen 6
fanatischen Märtyrer zu Beginn des Christentums?

Doch halt, fast hätte ich durch eine Vergeßlich-
keit dem edlen Philantropen wehe getan. Denn del
Internationale Literaturbund glaubt, daß es nocli
Stolz unter den Menschen gibt. Er weiß, daß eifl
Ehrenmann nichts geschenkt nimmt und daß zu vie'
Güte beschämt. Viele Menschen haben sich schoi 1
aus Scham umgebracht! Eines solchen Ver-
brechens darf man sich nicht schuldig machen.. U
wie dezenter Weise der liebe Kerl das einkleidetb
„Jeder Einsender darf nur eine Arbeit zum Druck
geben. Um vorzubeugen, daß von einem Autor eiH
Dutzend Werke unter falscher Flagge zum Druck
gelangen und somit anderen Preisbewerbern del
Raum gekürzt wird, muß außerdem jede Arbeit dR
Buchstabennummer der Mitgliedskarte def
Internationalen Literaturbundes tragen“. Def
Jahresbeitrag für 1910 beträgt allerdings 0111
zwanzig Mark.

Viele Leser des Lokalanzeigers konnten vof
Rührung über so viel Herzensgüte nur bis hierhef
lesen. Sie schluchzten heftig. Das böse Berlinei'
Tageblatt aber nannte die ganze Qeschicht e
„mystisch“. (Ach, Herr Doktor, das halten Si 6
schon für Mystik? Meinen Sie, daß dieser Qute
nicht wußte, wie viele Leutchen gern einmal was
dran wenden, um ihre Sonntagnachmittagausgeh-
gedichte gedruckt zu sehen?) Und nun will gaf
der Herr Staatsanwalt bei der Preisverteilung zfl'
gucken! Pfui, wie gehässig! Ist Dir doch nicht
unangenehm, Du herziges Literaturbündle? Nein?
.... kleiner Schäker! A. L.

wmmmm^—mmmm^mmm^mmmmm^^^mmm*

BalladeausdemLebenderBegriffe

Von Oskar Baum

Auf gelbem Rosse ritt der Neid
Und über Ritters Behagen;

Die Hufe, immer mordbereit,

Mit hartem Hohne beschlagen.

Man hörte keinen Klagelaut,

Kein Röcheln und kein Stöhnen;

Die Hoffnung auch, die alte Braut,

Qing heim zu ihren Söhnen.

Verschämt gesteht sie ihnen nun,

Daß sie Bastarde wären,

Die Zukunft würde kaum geruh’n,

Sie amtlich zu gebären. —

Der Wille hatte sie betört,

Er war so gar nicht rüde,

Die Arme hatte ihn erhört,

Sie war vom Warten müde.

„Ergieb Dich nur der Liebe froh!“

So hatte er gesprochen,

„Statt Deiner kommt ja so wie so
Die Zukunft in die Wochen.“

Doch leider war das ein Betrug;

Sie sagt’s mit bleichem Munde.

Die Söhne kränkt es, ach genug,

Sie gehen daran zu Grunde.

Verantwortlich für die Schriftleitung:
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE
 
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