j?, u Schlauer? Wohl, ist da Qrund zu stocken? —
^ ,e wetteifert nicht m itjenen Künsten, die doch
'Wnigstens etwas von der Wirklichkeit überneh-
jjjen, Deinen Stoff, die Körperlichkeit, oder die
arbe, oder den Ton. Das Tönen aber ist nicht
^esentlich an der Sprache, scheint mir. Hier ver-
fagt der Stoff vollständig; nicht einmal in Masken
Ijann die Wirklichkeit hier durchscheinen, denn das
^grt, die Silbenverbindung hat nichts mit dem ge-
^einsam, das sie bezeichnet. Sie muß sogar auf
Henkel verzichten. Hier macht die Kunst
j'nen Todeflsprung, er gelingt, will mich bedünken,
*, u brauchtest nicht zu stocken. Verlangten die
*°nreihen, um Musik zu bilden, eine Satzung, so
ueischt hier jedes einzelne Glied seine besondere
^atzung, das heißt, seinen Zeichenwert; Zeichen
|st das Wort den Menschen, das heißt: es erinnert
'hn, — es löst in ihm einen umschriebenen, wenig
veränderlichen Erinnerungsverband aus, wenn ich
Selehrt sprechen soll. Damit hat die Sprache den
7 eg vollendet, den die Kunst gehen mußte, da sie
jhcht verdoppeln konnte, den Weg von der Nach-
eildung über die Scheinbildung und Umbildung zum
eloßen Zeichen.
uud der Sprung gelang; denn die Sprechkunst, sich
s° an die Spitze, fast außerhalb der anderen Künste
jjtellend, vermag nun fast alles. — wenn nur der
^ensch. der sie hört, fast alles vermag. Immer
JjWniger gibt die Kunst, immer ärmlicher wird sie.
^jt wie wenigem begniigt sie sich schließlich! Das
'UU nicht sagen, sie verschmähe die Tausend-
altigkeit der Wirklichkeit, sondern alles Zerstreute,
Nanlos Hingeworfene des Lebens will sie auf einmal
^aben, in eins haben, und spottet doch die Unzuläng-
jehkeit des Materials schon der zaghaften Ver-
j‘°Ppelung. So drängt es den Künstler auf das
Nöde selbstgemachte Zeichen, drängt es ihn
^önchisch, der Wirklichkeit zu entraten, die ihm
jj 11 dünn ist, im kahlen Zeichen die Ueberschweng-
Jehkeit der Qenüsse zu bannen.
jjjl u s i k e r :
also verhält sich die Kunst zur Wirklichkeit. —
'/as lachst Du?
^alypso :
^ollte nicht vielleicht die Kunst noch einen Schritt
^eiter machen können, nocli über das Zeichen
Unaus?
ju u s i k e r :
: nd wie? Und was nützt solch spielerischer Qe-
jlanke?
^alypso:
ch meine die Kunst könnte sich auch jenes fein-
i' ten Zeichenwertes begeben und völlig bezuglos
l u selbstherrlichen Neubildungen ergehen. Die
Wirklichkeit überwinden, ihre Herrin, und ihrer
jjPotten.
^ u s i k e r :
^u zielst auf Deine reine Kunst, die himmlische.
j^alypso :
, vyenn irdische wirkliche Dinge denen der Kunst
phueln, könnte es nicht der Fall sein, daß jene der
'aeformtheit, der Kunstähnlichkeit ihren Wert zu-
Schreiben müssen? Eher als umgekehrt? Ich
'Pöchte nicht fragen, wie die Künste zur Nach-
ahrnung und Verdoppelung befähigt sind, sondern
'yie breit hin sich das Qebiet der Eigenwertigkeit
j*er Kunst erstreckt, und wie viel herrische Fremd-
lr|ge aus der Wirklichkeit sich im Kunstwerk ein-
jhsten.
Jusiker :
fjast Du gesprochcn?
,-alypso :
jjud warte Deiner Antwort.
cj u s i k e r :
U u wirfst ein weißes Licht, oh Kalypso, auf die
//erte, auf den Ursprung der Wirklichkeits- und
yuustwerte, und zeigst, daß beide nur Menschen-
jerte sind, daß so die Kunst neu, selbstherrlich, auf
jj'Senen Fiißen läuft, sich der Wirklichkeit vielleicht
. edient, vielleicht aber gar ihr alle Wärme erst ver-
eiht. Und wenn Du „Kunstwert“ so weit faßt, daß
jl r Dir überhaupt gleich „Wert“ wird, so vermag
I r niemand zu widerstreiten. Sicherlich aber
jPeinst Du aber damit nicht, daß die Wirklichkeit
ajl ihre Wärme erst von einer Kunst empfange, von
jjjUer vorbildlichen, reinen Kunst. — Du sagst mit
jj.echt, die Kunst will gar nicht verdoppeln. Was
le Verdoppelung verhindert, ist keine Schwäche
Jjö Armut der Kunst, sondern ihr eigentümliches
yyesen. Die Kunst ergeht sich in Regeln und Be-
. t,r>imungen am Matrial; — es ist weder Plan und
hsicht der Kunst, zu verdoppeln noch nicht zu
erdoppeln. Aber was die Kunst, oder besser der
Mensch mit der Kunst will und plant, laß uns jetzt
vernachlässigen. Vielmehr laß uns weiter das Tat-
sächliche vergleichen, die Merkmale der Kunst auf-
zeigen.
Sieh, die Musik hat ein Material: die Töne. Zu
den Tönen tritt hinzu eine Summe von Ordnungs-
regeln; in den Ordnungsregeln liegt die Bestimmt-
heit der Musik oder: die Musik bestimmt sich als
eine Ordnungsweise der Töne. In dem, was ich den
Zusammenhang der Töne nannte, erklärt sich die
Musik.
Form nenne ich diesen Zusammenhang nicht; das
Wort verführt, an Vorbild zu denken. Ich rede von
Bestimmungen, von Ordnungsregeln, vom Qesetze,
von Satzung, die für etwas oder über etwas ge-
setzt ist. Weder Material noch Satzung allein,
noch gemeinsam, machen schon die Musik aus,
welche Wirklichkeit hat; sondern welche bestimm-
ten Töne des geordneten Materials im Einzelwerk
auftreten, ist das Letzte, das hinzukommt. Diese
drei auseinandergelegeten, auseina^idergedachten
Qrößen finde ich dann in der wirklichen Musik:
Material, Satzung, Stoff. Satzung und Material
geben die verwendbaren Töne; aber wonach wer-
den die Töne ausgewählt und hintereinander ge-
reiht? Wenn die Satzung einen Zusammenhang
zwischen allen Tönen bestimmte, die auftreten
können, welcher Zusammenhang besteht zwischen
diesen bestimmten aufeinanderfolgenden Tönen des
Tonwerkes? Hier wird eine neue Ordnung, die
des Stoffes gefordert. Und diese Frage, Kalypso,
laß uns recht bedenken. Die Antwort muß unsern
Zwiespalt schlichten.
K a I y p s o :
So sprich nur fort. Ich fasse Deine Frage.
M u s i k e r :
Das Vorbild alles zeitlichen Zusammenhangs ist
das Leben; den eigentlichen Zusammenhang stellt
die Ursächlichkeit dar; die engste Bindung ist die
Erzeugung. Es kann auf keine Weise ein Ton vnn
einem andern hervorgebracht werden; kein Ton
folgt also auch notwendig auf einen andern.
Sondern die Dinge tönen; und so: der Mensch
musiziert, er ist der Schöpfer der Musik. Er setzt
die iiberzeitlichen Werte der Tonleiter. Der Rhyth-
mus nun hat schon eine Ordnung im Zeitlichen zu
schaffen; während ihm aber das losgelöst Zeit-
liche, die nackte Bewegung und Abfolge zufällt,
soll die Stoffordnung das Bewegte, das Qe-
schehende, das Gegenständliche ordnen. Und sie
befaßt sich nicht mit den einzelnen Tönen, welche
schon gesetzt und gewertet sind durch die Ton-
leiter, auch nicht mit der Beziehung zwischen den
abfolgenden Tönen. Sie sieht auf das Spannungsver-
hältnis der Töne; sie kennt den Satz: was Musik
an den Tönen ist, ist stumm; die Zwischenräume
der Töne sind die Räume der Musik. Es stehen aber
diese Ordnungen nicht gleichgültig und beziehungs-
los nebeneinander; ich kann sagen: jene Ordnun-
gen der Töne zu musikalisch bewerteten und rhyth-
mischen werden Vorordnungen für die Stoffordnung;
für die Stoffordnung sind diese Ordnungen selbst
— Stoff; sie sind Voraussetzung, nicht mehr und
nicht weniger. — Wie nun wird der Stoff geordnet?
Da ein Zusammenhang nicht von den Tönen ge-
schaffen werden kann, muß er mit den Tönen ge-
schaffen werden; der Zusammenhang liegt nicht
in der Verbindung dieses Tones mit jenen, sondern
dieser Tonfolge mit etwas anderm. Diese Tonfolge
ist in sich zusammenhangslos; dadurch, daß etwas
anderes an sie herantritt, mit dem sie zusammen-
hängt, wird der Schein ihres eigenen Zusammen-
hangs erzeugt.
Dies darfst Du nicht wunderlich und ohne
Gleichnis heißen: ebenso kennen wir zunächst
nichts von dem oder einem Zusammenhang des
Qeschehens; dadurch aber, daß sich derselbe Vor-
gang wiederholt, erscheint er als zusammenhän-
gend, wo er doch zunächst nur mit der Erinnerung,
nicht aber mit sich oder in sich zusammenhängt.
Kalypso:
So mußt Du jetzt erklären, wie die Tonfolge mit
jenem „andern“ zusammenhängen soll, und was
jenes „andere“ ist.
M u s i k e r :
Wohl, Kalypso. Wieder das Beispiel des Lebens
zeigt Dir, wie ein Schein des Zusammenhangs er-
reicht wird: die Wiederkehr desselben Vorgangs
läßt den Vorgang selbst als zusammenhängend er-
scheinen. Eine Tonfolge wird als zusammen-
hängend gelten, wenn sie wiederkehrt. Du zuckst
die Achsel; Du meinst, etwas Falsches wird nicht
wahr, wenn es zweimal gesagt wird; aber ich sage
Dir: etwas wahrer wird es dadurch schon. Immer-
hin: ich bezeichne so nur das Sachliche, Tatsäch-
liche, gleichsam Aeußere der tönenden Musik, —
aber die Musik tönt nicht — und setze etwas
voraus.
Damit nämlich die wiederkehrende Tonfolge an
die erste, deren Wiederkehr sie ist, herantrete und
den Schein des Zusammenhangs erzeuge, muß die
erste noch irgendwie vorhanden sein. Sie darf
nicht spurlos verschwinden; es wird eine Möglich-
keit verlangt, die das Hintereinander des Zeit-
lichen in ein Nebeneinander verwandelt.
Ich weiß nicht, wie die Verwandlung geschieht;
doch heißt das, was die Gegenwart des in der
Wirklichkeit nicht Qegenwärtigen ermöglicht, Qe-
dächtnis. So wird die wiederkehrende Tonfolge im
Augenblick, wo sie wiederkehrt, mit einem Zeichen
versehen, das besagt: „bekannt“, und dies eben
verleiht dem Wiederkehrenden den Schein des Zu-
sammenhanges.
Kalypso:
Jene erste Tonfolge also ist unzusammenhängend.
M u s i k e r :
Wohl. Aber begreife: damit die erste Tonfolge
hafte oder irgendwie im Qedächnisträger eine Spur
hinterlasse, muß sie den Ansprüchen, den Lebens-
gewohnheiten des Qedächtnisses genügen. Ich
werde noch fragen müssen: wann haftet eine erste
Tonfolge? Was macht eine Tonfolge gedächtnis-
fähig? Du hast Recht, wenn Du zu zweifeln
scheinst, ob nicht auch der ersten Tonfolge wenig-
stens eine Bestimmung zukomme, eine Beschrän-
kung ihrer Willkür. Kurz ist es die, — daß die
erste Tonfolge wenig ausgedehnt sei und näher
oder ferner verwandt sei in Teilen oder im Qanzen
mit älteren Erfahrungen aus dem Erinnerungs-
schatz; ganz neue werden als beziehungslos sehr
schwer oder gar nicht erinnert.
Kalypso:
Und wie hafteten jene alten Tonfolgen?
M u s i k e r :
Wie Du mich bedrängst. Wenn es ein ganz leeres
Qedächtnis geben sollte, Kalypso, so könnte jede
willktirliche Tonfolge und Tonfolgen den Qrund
seines Schatzes bilden. Aber solch Ieeres Qedächt-
nis gibt es nirgends. Der Erinnerungsschatz wird
nicht vergrößert wie ein Steinhaufen, sondern er
wächst. So wichtig und entscheidend ist die
Rolle, die die Ueberlieferung in der Musik spielt,
unendlich langsam wird ein wirklicher Fortschritt
sein. In diesem Hinblick erscheint überhaupt nichts
Neues in den stets neuen Tonfolgen; die Musik, bei
der Besorgung ihrer wichtigsten Angelegenheit, der
Bewahrung des Ueberlieferten, wird sich vielmehr
bemühen, gesetzte Tonfolgen zu vererbbaren For-
meln erstarren zu lassen, um einen unverlierbaren
Boden zu besitzen. In den versteinerten Tonfolgen,
den Kadenzen, Harmonieregeln, Tonleiterbildun-
gen, erscheint dann, was sich sonst nie erreichen
ließ, — die Tonverbindung als geradezu notwen-
dig und natürlich. — Aber ich will Dich im voraus
auch erinnern, daß die musikalischen Tonfolgen
auch aus der Beziehung zu Tonfolgen der Wirk-
Iichkeit, zu tonlosen Vorgängen der Wirklichkeit
Zusammenhang gewinnen und so jene erste Ton-
folge eine weitere Bestimmung erfahren kann. —
Zusammenhang setzt die Qleichheit oder Wieder-
kehr. Und auch da wird er erzielt, wo die zweite
Tonfolge statt der Gleichheit Aehnlichkeit. statt
der Wiederholung und Nachahmung, Abänderung
und Umformung bietet.
In dieser unscheinbaren Bestimmung der Wie-
derkehr, sei es in Wiederholung und Nachahmung,
sei es in Abänderung, liegt die Quelle des reichen
musikalischen Zusammenhangs. — Du schaust
mich an, Kalypso, und nickst, als wärst gar Du nun
gerechtfertigt, und die eigenschöne Musik bewie-
sen. Nur langsam; wir stehen erst im Beginn un-
serer Wanderung. Ich kann mir wohl denken, daß
ehemals die Töne streng selbstherrlich aufein-
anderfolgten, nichts waren als ein Steigen und
Fallen, Eilen und Stocken, ganz darin aufgingen.
die Eigenwerte des Eigentones zu entwickeln. Dies
mußte so sein, damals, als Satzung auf Satzung
erst die Musik schuf, als man sich erst vertraut
machte mit den eigentümlichen Regein, die dieser
eigenttimliche Stoff forderte; hölzern steife, herbe,
sehr gleichartige Qebilde stellten den befremdeten
Hörern eine reine. absolute Musik.
Schluß des siebenten Gespräches in Nummer 16
119
^ ,e wetteifert nicht m itjenen Künsten, die doch
'Wnigstens etwas von der Wirklichkeit überneh-
jjjen, Deinen Stoff, die Körperlichkeit, oder die
arbe, oder den Ton. Das Tönen aber ist nicht
^esentlich an der Sprache, scheint mir. Hier ver-
fagt der Stoff vollständig; nicht einmal in Masken
Ijann die Wirklichkeit hier durchscheinen, denn das
^grt, die Silbenverbindung hat nichts mit dem ge-
^einsam, das sie bezeichnet. Sie muß sogar auf
Henkel verzichten. Hier macht die Kunst
j'nen Todeflsprung, er gelingt, will mich bedünken,
*, u brauchtest nicht zu stocken. Verlangten die
*°nreihen, um Musik zu bilden, eine Satzung, so
ueischt hier jedes einzelne Glied seine besondere
^atzung, das heißt, seinen Zeichenwert; Zeichen
|st das Wort den Menschen, das heißt: es erinnert
'hn, — es löst in ihm einen umschriebenen, wenig
veränderlichen Erinnerungsverband aus, wenn ich
Selehrt sprechen soll. Damit hat die Sprache den
7 eg vollendet, den die Kunst gehen mußte, da sie
jhcht verdoppeln konnte, den Weg von der Nach-
eildung über die Scheinbildung und Umbildung zum
eloßen Zeichen.
uud der Sprung gelang; denn die Sprechkunst, sich
s° an die Spitze, fast außerhalb der anderen Künste
jjtellend, vermag nun fast alles. — wenn nur der
^ensch. der sie hört, fast alles vermag. Immer
JjWniger gibt die Kunst, immer ärmlicher wird sie.
^jt wie wenigem begniigt sie sich schließlich! Das
'UU nicht sagen, sie verschmähe die Tausend-
altigkeit der Wirklichkeit, sondern alles Zerstreute,
Nanlos Hingeworfene des Lebens will sie auf einmal
^aben, in eins haben, und spottet doch die Unzuläng-
jehkeit des Materials schon der zaghaften Ver-
j‘°Ppelung. So drängt es den Künstler auf das
Nöde selbstgemachte Zeichen, drängt es ihn
^önchisch, der Wirklichkeit zu entraten, die ihm
jj 11 dünn ist, im kahlen Zeichen die Ueberschweng-
Jehkeit der Qenüsse zu bannen.
jjjl u s i k e r :
also verhält sich die Kunst zur Wirklichkeit. —
'/as lachst Du?
^alypso :
^ollte nicht vielleicht die Kunst noch einen Schritt
^eiter machen können, nocli über das Zeichen
Unaus?
ju u s i k e r :
: nd wie? Und was nützt solch spielerischer Qe-
jlanke?
^alypso:
ch meine die Kunst könnte sich auch jenes fein-
i' ten Zeichenwertes begeben und völlig bezuglos
l u selbstherrlichen Neubildungen ergehen. Die
Wirklichkeit überwinden, ihre Herrin, und ihrer
jjPotten.
^ u s i k e r :
^u zielst auf Deine reine Kunst, die himmlische.
j^alypso :
, vyenn irdische wirkliche Dinge denen der Kunst
phueln, könnte es nicht der Fall sein, daß jene der
'aeformtheit, der Kunstähnlichkeit ihren Wert zu-
Schreiben müssen? Eher als umgekehrt? Ich
'Pöchte nicht fragen, wie die Künste zur Nach-
ahrnung und Verdoppelung befähigt sind, sondern
'yie breit hin sich das Qebiet der Eigenwertigkeit
j*er Kunst erstreckt, und wie viel herrische Fremd-
lr|ge aus der Wirklichkeit sich im Kunstwerk ein-
jhsten.
Jusiker :
fjast Du gesprochcn?
,-alypso :
jjud warte Deiner Antwort.
cj u s i k e r :
U u wirfst ein weißes Licht, oh Kalypso, auf die
//erte, auf den Ursprung der Wirklichkeits- und
yuustwerte, und zeigst, daß beide nur Menschen-
jerte sind, daß so die Kunst neu, selbstherrlich, auf
jj'Senen Fiißen läuft, sich der Wirklichkeit vielleicht
. edient, vielleicht aber gar ihr alle Wärme erst ver-
eiht. Und wenn Du „Kunstwert“ so weit faßt, daß
jl r Dir überhaupt gleich „Wert“ wird, so vermag
I r niemand zu widerstreiten. Sicherlich aber
jPeinst Du aber damit nicht, daß die Wirklichkeit
ajl ihre Wärme erst von einer Kunst empfange, von
jjjUer vorbildlichen, reinen Kunst. — Du sagst mit
jj.echt, die Kunst will gar nicht verdoppeln. Was
le Verdoppelung verhindert, ist keine Schwäche
Jjö Armut der Kunst, sondern ihr eigentümliches
yyesen. Die Kunst ergeht sich in Regeln und Be-
. t,r>imungen am Matrial; — es ist weder Plan und
hsicht der Kunst, zu verdoppeln noch nicht zu
erdoppeln. Aber was die Kunst, oder besser der
Mensch mit der Kunst will und plant, laß uns jetzt
vernachlässigen. Vielmehr laß uns weiter das Tat-
sächliche vergleichen, die Merkmale der Kunst auf-
zeigen.
Sieh, die Musik hat ein Material: die Töne. Zu
den Tönen tritt hinzu eine Summe von Ordnungs-
regeln; in den Ordnungsregeln liegt die Bestimmt-
heit der Musik oder: die Musik bestimmt sich als
eine Ordnungsweise der Töne. In dem, was ich den
Zusammenhang der Töne nannte, erklärt sich die
Musik.
Form nenne ich diesen Zusammenhang nicht; das
Wort verführt, an Vorbild zu denken. Ich rede von
Bestimmungen, von Ordnungsregeln, vom Qesetze,
von Satzung, die für etwas oder über etwas ge-
setzt ist. Weder Material noch Satzung allein,
noch gemeinsam, machen schon die Musik aus,
welche Wirklichkeit hat; sondern welche bestimm-
ten Töne des geordneten Materials im Einzelwerk
auftreten, ist das Letzte, das hinzukommt. Diese
drei auseinandergelegeten, auseina^idergedachten
Qrößen finde ich dann in der wirklichen Musik:
Material, Satzung, Stoff. Satzung und Material
geben die verwendbaren Töne; aber wonach wer-
den die Töne ausgewählt und hintereinander ge-
reiht? Wenn die Satzung einen Zusammenhang
zwischen allen Tönen bestimmte, die auftreten
können, welcher Zusammenhang besteht zwischen
diesen bestimmten aufeinanderfolgenden Tönen des
Tonwerkes? Hier wird eine neue Ordnung, die
des Stoffes gefordert. Und diese Frage, Kalypso,
laß uns recht bedenken. Die Antwort muß unsern
Zwiespalt schlichten.
K a I y p s o :
So sprich nur fort. Ich fasse Deine Frage.
M u s i k e r :
Das Vorbild alles zeitlichen Zusammenhangs ist
das Leben; den eigentlichen Zusammenhang stellt
die Ursächlichkeit dar; die engste Bindung ist die
Erzeugung. Es kann auf keine Weise ein Ton vnn
einem andern hervorgebracht werden; kein Ton
folgt also auch notwendig auf einen andern.
Sondern die Dinge tönen; und so: der Mensch
musiziert, er ist der Schöpfer der Musik. Er setzt
die iiberzeitlichen Werte der Tonleiter. Der Rhyth-
mus nun hat schon eine Ordnung im Zeitlichen zu
schaffen; während ihm aber das losgelöst Zeit-
liche, die nackte Bewegung und Abfolge zufällt,
soll die Stoffordnung das Bewegte, das Qe-
schehende, das Gegenständliche ordnen. Und sie
befaßt sich nicht mit den einzelnen Tönen, welche
schon gesetzt und gewertet sind durch die Ton-
leiter, auch nicht mit der Beziehung zwischen den
abfolgenden Tönen. Sie sieht auf das Spannungsver-
hältnis der Töne; sie kennt den Satz: was Musik
an den Tönen ist, ist stumm; die Zwischenräume
der Töne sind die Räume der Musik. Es stehen aber
diese Ordnungen nicht gleichgültig und beziehungs-
los nebeneinander; ich kann sagen: jene Ordnun-
gen der Töne zu musikalisch bewerteten und rhyth-
mischen werden Vorordnungen für die Stoffordnung;
für die Stoffordnung sind diese Ordnungen selbst
— Stoff; sie sind Voraussetzung, nicht mehr und
nicht weniger. — Wie nun wird der Stoff geordnet?
Da ein Zusammenhang nicht von den Tönen ge-
schaffen werden kann, muß er mit den Tönen ge-
schaffen werden; der Zusammenhang liegt nicht
in der Verbindung dieses Tones mit jenen, sondern
dieser Tonfolge mit etwas anderm. Diese Tonfolge
ist in sich zusammenhangslos; dadurch, daß etwas
anderes an sie herantritt, mit dem sie zusammen-
hängt, wird der Schein ihres eigenen Zusammen-
hangs erzeugt.
Dies darfst Du nicht wunderlich und ohne
Gleichnis heißen: ebenso kennen wir zunächst
nichts von dem oder einem Zusammenhang des
Qeschehens; dadurch aber, daß sich derselbe Vor-
gang wiederholt, erscheint er als zusammenhän-
gend, wo er doch zunächst nur mit der Erinnerung,
nicht aber mit sich oder in sich zusammenhängt.
Kalypso:
So mußt Du jetzt erklären, wie die Tonfolge mit
jenem „andern“ zusammenhängen soll, und was
jenes „andere“ ist.
M u s i k e r :
Wohl, Kalypso. Wieder das Beispiel des Lebens
zeigt Dir, wie ein Schein des Zusammenhangs er-
reicht wird: die Wiederkehr desselben Vorgangs
läßt den Vorgang selbst als zusammenhängend er-
scheinen. Eine Tonfolge wird als zusammen-
hängend gelten, wenn sie wiederkehrt. Du zuckst
die Achsel; Du meinst, etwas Falsches wird nicht
wahr, wenn es zweimal gesagt wird; aber ich sage
Dir: etwas wahrer wird es dadurch schon. Immer-
hin: ich bezeichne so nur das Sachliche, Tatsäch-
liche, gleichsam Aeußere der tönenden Musik, —
aber die Musik tönt nicht — und setze etwas
voraus.
Damit nämlich die wiederkehrende Tonfolge an
die erste, deren Wiederkehr sie ist, herantrete und
den Schein des Zusammenhangs erzeuge, muß die
erste noch irgendwie vorhanden sein. Sie darf
nicht spurlos verschwinden; es wird eine Möglich-
keit verlangt, die das Hintereinander des Zeit-
lichen in ein Nebeneinander verwandelt.
Ich weiß nicht, wie die Verwandlung geschieht;
doch heißt das, was die Gegenwart des in der
Wirklichkeit nicht Qegenwärtigen ermöglicht, Qe-
dächtnis. So wird die wiederkehrende Tonfolge im
Augenblick, wo sie wiederkehrt, mit einem Zeichen
versehen, das besagt: „bekannt“, und dies eben
verleiht dem Wiederkehrenden den Schein des Zu-
sammenhanges.
Kalypso:
Jene erste Tonfolge also ist unzusammenhängend.
M u s i k e r :
Wohl. Aber begreife: damit die erste Tonfolge
hafte oder irgendwie im Qedächnisträger eine Spur
hinterlasse, muß sie den Ansprüchen, den Lebens-
gewohnheiten des Qedächtnisses genügen. Ich
werde noch fragen müssen: wann haftet eine erste
Tonfolge? Was macht eine Tonfolge gedächtnis-
fähig? Du hast Recht, wenn Du zu zweifeln
scheinst, ob nicht auch der ersten Tonfolge wenig-
stens eine Bestimmung zukomme, eine Beschrän-
kung ihrer Willkür. Kurz ist es die, — daß die
erste Tonfolge wenig ausgedehnt sei und näher
oder ferner verwandt sei in Teilen oder im Qanzen
mit älteren Erfahrungen aus dem Erinnerungs-
schatz; ganz neue werden als beziehungslos sehr
schwer oder gar nicht erinnert.
Kalypso:
Und wie hafteten jene alten Tonfolgen?
M u s i k e r :
Wie Du mich bedrängst. Wenn es ein ganz leeres
Qedächtnis geben sollte, Kalypso, so könnte jede
willktirliche Tonfolge und Tonfolgen den Qrund
seines Schatzes bilden. Aber solch Ieeres Qedächt-
nis gibt es nirgends. Der Erinnerungsschatz wird
nicht vergrößert wie ein Steinhaufen, sondern er
wächst. So wichtig und entscheidend ist die
Rolle, die die Ueberlieferung in der Musik spielt,
unendlich langsam wird ein wirklicher Fortschritt
sein. In diesem Hinblick erscheint überhaupt nichts
Neues in den stets neuen Tonfolgen; die Musik, bei
der Besorgung ihrer wichtigsten Angelegenheit, der
Bewahrung des Ueberlieferten, wird sich vielmehr
bemühen, gesetzte Tonfolgen zu vererbbaren For-
meln erstarren zu lassen, um einen unverlierbaren
Boden zu besitzen. In den versteinerten Tonfolgen,
den Kadenzen, Harmonieregeln, Tonleiterbildun-
gen, erscheint dann, was sich sonst nie erreichen
ließ, — die Tonverbindung als geradezu notwen-
dig und natürlich. — Aber ich will Dich im voraus
auch erinnern, daß die musikalischen Tonfolgen
auch aus der Beziehung zu Tonfolgen der Wirk-
Iichkeit, zu tonlosen Vorgängen der Wirklichkeit
Zusammenhang gewinnen und so jene erste Ton-
folge eine weitere Bestimmung erfahren kann. —
Zusammenhang setzt die Qleichheit oder Wieder-
kehr. Und auch da wird er erzielt, wo die zweite
Tonfolge statt der Gleichheit Aehnlichkeit. statt
der Wiederholung und Nachahmung, Abänderung
und Umformung bietet.
In dieser unscheinbaren Bestimmung der Wie-
derkehr, sei es in Wiederholung und Nachahmung,
sei es in Abänderung, liegt die Quelle des reichen
musikalischen Zusammenhangs. — Du schaust
mich an, Kalypso, und nickst, als wärst gar Du nun
gerechtfertigt, und die eigenschöne Musik bewie-
sen. Nur langsam; wir stehen erst im Beginn un-
serer Wanderung. Ich kann mir wohl denken, daß
ehemals die Töne streng selbstherrlich aufein-
anderfolgten, nichts waren als ein Steigen und
Fallen, Eilen und Stocken, ganz darin aufgingen.
die Eigenwerte des Eigentones zu entwickeln. Dies
mußte so sein, damals, als Satzung auf Satzung
erst die Musik schuf, als man sich erst vertraut
machte mit den eigentümlichen Regein, die dieser
eigenttimliche Stoff forderte; hölzern steife, herbe,
sehr gleichartige Qebilde stellten den befremdeten
Hörern eine reine. absolute Musik.
Schluß des siebenten Gespräches in Nummer 16
119